Alles rund um den Parkplatzunfall – die aktuelle Rechtsprechung
1.
Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 07.03.2017, I-1 U 97/16
Zur Geltung der Vorfahrtsregel auf privaten Parkplätzen.
Aus den Gründen:
aa)
Es ist anerkannt, dass auf allgemein zugänglichen Privatparkplätzen – wie hier auf dem für jedermann zugänglichen Parkplatz der Firma B. – die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung gelten (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015, Az.: VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098; Senat, Urteil vom 23. März 2010, Az.: I-1 U 156/09 bei juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 1 StVO Rn 15 m.w.N.).
bb)
Auch auf einem allgemein zugänglichen Parkplatzgelände gilt dabei für jeden Fahrzeugführer das aus § 1 Abs. 2 StVO folgende Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme. Wegen der auf einem Parkplatz ständig zu erwartenden Ein- und Ausparkvorgänge obliegen jedem Kraftfahrer dabei erhöhte Sorgfalts- und Rücksichtspflichten. Angesichts der ständig wechselnden Verkehrssituationen auf einem Parkplatz muss bei stetiger Bremsbereitschaft mit Schrittgeschwindigkeit gefahren werden (Senat, Urteil vom 15. September 2015, Az.: I-1 U 265/14 m.w.N.; Urteil vom 23. März 2010, Az.: I-1 U 156/09; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 8 StVO Rn 31a). Schrittgeschwindigkeit bedeutet eine sehr langsame Geschwindigkeit, die der eines normal gehenden Fußgängers entspricht, also in der Größenordnung zwischen 4 bis 7 km/h (Senat, Urteil vom 15. September 2015, Az.: I-1 U 265/14).
cc)
Die besonderen Vorfahrts- und Vorrangregeln der Straßenverkehrsordnung, die in erster Linie dem Schutz des fließenden und deshalb typischerweise schnelleren Verkehrs dienen, wie etwa § 9 Abs.5 StVO, gelten auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nur mittelbar über § 1 Abs. 2 StVO (vgl. BGH, a.a.O., BGH, Urteil vom 11.10.2016, Az.: VI ZR 66/16, DAR 2017, 74; Senat, Urteil vom 7. Juni 2016, Az.: I-1 U 126/15).
Insoweit kann auch auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter die Wertung des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen sein (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn 70).
dd)
Auch auf Parkplätzen mit eindeutigem Straßencharakter scheidet eine direkte Anwendung der Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 S.1 StVO aus, weil es dort an „Kreuzungen“ und „Einmündungen“ fehlt. Kreuzungen und Einmündungen i.S.d. § 8 Abs. 1 S.1 StVO setzen das Zusammentreffen von verschiedenen „Straßen“, die dem fließenden Verkehr dienen, voraus (Hentschel/König/Dauer, a.a.O.). Die Zuwegungen auf Parkplätzen dienen hingegen nicht dem fließenden Verkehr, sondern dem Aufsuchen der Parkflächen und damit dem ruhenden Verkehr.
ee)
Es ist aber in der Rechtsprechung anerkannt und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ in entsprechender Anwendung des § 8 Abs. 1 S.1 StVO auf allgemein zugänglichen Privatparkplätzen dann gilt, wenn die „Fahrbahnen“ zwischen den einzelnen Abstellreihen den Charakter von Straßen haben und die Vorrangfrage zwei Parkplatzbenutzer betrifft, die bei dem Befahren dieser Fahrbahnen mit Straßencharakter an einer Kreuzung oder Einmündung gleichzeitig zusammentreffen (vgl. Senat, Urteil vom 15. September 2015, Az.: I-1 U 165/14; Urteil vom 23. März 2010, Az.: I-1 U 156/09, bei juris; Urteil vom 29. Juni 2010, Az.: I-1 U 240/09 bei juris; Hentschel/König/Dauer, a.a.O.).
Die Tatsachenfrage, ob ein von einem Unfallbeteiligten befahrener Weg als Teil der Parkplatzfläche angesehen werden muss oder als eine von diesem abgegrenzte, berechtigte „Straße“, hängt von dem äußeren Erscheinungsbild ab (Senat, Urteil vom 15. September 2015, Az.: I-1 U 165/14).
Das Landgericht hat auf der Grundlage der Fotos, des Sachverständigengutachtens und des überreichten Plans zutreffend festgestellt, dass sowohl die von dem Beklagten zu 1) befahrene Mittelgasse als auch die Seitengasse, auf die der Zeuge B. fuhr, Straßencharakter haben. Beide „Gassen“ sind so breit (7,7 m bzw. 6,3 m), dass auf ihnen problemlos Begegnungsverkehr stattfinden kann. Auch die von dem Zeugen B. befahrene Gasse dient nicht nur dem Aufsuchen der in dieser Gasse befindlichen Parktaschen. Diese Fahrgasse können auch Besucher des Baumarktes erreichen, die an dem Eingang des Baumarktes vorbei Richtung Ausgang des Parkplatzgeländes fahren. Die breiten, asphaltierten Fahrgassen heben sich gegenüber den mit roten Steinen gepflasterten Parktaschen derart ab, dass der Straßencharakter deutlich und unmissverständlich zu erkennen ist. Der Straßencharakter könnte kaum deutlicher kenntlich gemacht werden.
ff)
Es gibt auch keinen Anhaltspunkt, der darauf hindeuten könnte, dass die Mittelgasse gegenüber den anderen Fahrgassen bevorrechtigt wäre, mit der Folge, dass der Verkehr auf den Seitengassen dem Verkehr auf der Mittelgasse in entsprechender Anwendung des § 10 StVO Vorrang gewähren müsste. Nur dann, wenn auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen durch eindeutige bauliche Gestaltungen und/oder Markierungen eine „Hauptstraße” angelegt ist, muss beim Einfahren von untergeordneten Parkflächen die Vorfahrt entsprechend § 10 StVO beachtet werden (Senat, Urteil vom 23. März 2010, Az.: I-1 U 156/09, bei juris; OLG Köln MDR 1999, 675). Hier sind weder solche Markierungen noch bauliche Gestaltungen ansatzweise vorhanden.