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KG Berlin, Beschluss vom 17.09.2024, 3 ORbs 148/24
Kein rechtlicher Hinweis bei Erhöhung der Geldbuße erforderlich
Möchte der Tatrichter die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße erhöhen, so bedarf dies grundsätzlich keines Hinweises entsprechend § 265 StPO.
BayObLG, Beschluss vom 31.07.2024 – 202 ObOWi 742/24
Urteilsgründe sind bei fehlender Mitteilung zum Toleranzabzug unzureichend
Ist im Fall der Messung eines Abstandsverstoßes mit einem standardisierten Messverfahren (hier: VKS 3.0) in den Urteilsgründen kein Toleranzabzug mitgeteilt und lässt sich diesen auch nicht zweifelsfrei entnehmen, dass ein Toleranzabzug vorgenommen wurde, sind die Feststellungen unzureichend. Etwas anderes gilt nur im Fall eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen.
OLG Saarbrücken, Beschluss vom 03.06.2024, 1 Ss (OWi) 44/24
Keine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung, wenn “zugestellter” Briefumschlag kein Datum trägt
1. Eine Verjährungsunterbrechung nach §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG setzt die Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides voraus.
2. Voraussetzung einer wirksamen Ersatzzustellung des Bußgeldbescheides durch Einlegen in den Briefkasten nach den §§ 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG, 1 SVwZG, 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG, 180 ZPO ist der Vermerk des Datums der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks.
3. Die Heilung eines Zustellungsmangels nach den §§ 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG, 1 SVwZG, 8 VwZG durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides beim Verteidiger setzt das Vorliegen einer Zustellungsvollmacht voraus.
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / BECK-RS 2024, 14197
OLG Hamm, Beschluss vom 28.5.2024 – III-4 ORbs 94/24
Das OLG Hamm stärkt die Verteidigungsrechte – der korrekte Umgang mit Befangenheitsanträgen im Bußgeldverfahren
Der Betroffene hat in einem Bußgeldverfahren Anspruch darauf, Befangenheitsanträge gegen den amtierenden Richter anzubringen und darauf, dass diese Anträge auch zur Kenntnis genommen werden. Das Recht auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn die erlassene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung solcher Ausführungen hat.
KG, Beschluss vom 28.05.2024 – 3 ORbs 83/24
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei temporär wegen Straßenschäden angeordneter Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h bei Fahrtantritt ohne Passieren der Beschilderung
1. Es besteht keine allgemeine Erkundigungspflicht, ob für den Ort des Antritts der Fahrt mit einem Kraftfahrzeug temporär eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt.
2. Eine solche Erkenntnis mit entsprechender Erkundigungspflicht kann sich aber aufgrund bestimmter Umstände aufdrängen.
Zu dem Themenkreis siehe auch:
OLG Oldenburg, Beschluss vom 30.04.2020, 2 SS (OWi) 111/20
Ein Geschwindigkeitsverstoß kommt auch dann in Betracht, wenn in Fahrtrichtung kein Verkehrszeichen passiert wurde, der Betroffene aber nach einer Fahrtunterbrechung bzw. Pause in die Gegenrichtung weiterfährt (ohne dann hierbei ein Verkehrszeichen zu passieren. (Quelle: DAR 2021, 42)
OLG Celle,
Kein Geschwindigkeitsverstoß, wenn der ortsunkundige Betroffene nach dem Wenden in die Gegenrichtung weiterfährt und hierbei kein entsprechend geschwindigkeitsregelndes Verkehrszeichen passiert.
OLG Bamberg, Beschluss vom 17.07.2013 – 3 Ss OWi 944/13
Kein Geschwindigkeitsverstoß, wenn der betroffene Taxifahrer nach dem Absetzen des Fahrgastes in die Gegenrichtung zurückfährt und hierbei kein entsprechend geschwindigkeitsregelndes Verkehrszeichen passiert.
AG Magdeburg, Urteil vom 11.05.2018, 50 OWi 783 Js 5456/18 (105/18), 50 OWi 105/18
Verstoß gegen das Verkehrsverbot in Umweltzonen: Wer sich aus dem öffentlichen Verkehrsraum auf einen Privatparkplatz begibt und diesen Parkplatz ohne Not über eine andere Verbindung in den öffentlichen Verkehrsraum wieder verlässt, trägt als Kraftfahrzeugführer die Verantwortung dafür, dass er sich mit dem Fahrzeug fortan zulässig in diesem Bereich des öffentlichen Verkehrsraums bewegen darf. Der Kraftfahrzeugführer hat eine Erkundigungspflicht.
AG Dortmund, Urteil vom 04.07.2017 – 729 OWi-265 Js 968/17-173/17
Eine Geschwindigkeitsbeschränkung ist auch dann noch von einem Betroffenen zu beachten, wenn er nach deren Beginn eine Fahrtpause in einer Stichstraße einlegt und dann in gleicher Fahrtrichtung weiterfährt. (Quelle: IWW vom 30.01.2018 · IWW-Abrufnummer 199264)
OLG Hamm, Beschluss vom 18.06.2014, 1 RBs 89/13
Bei einem stattgefundenen Fahrerwechsel ist der bisherige Beifahrer nicht verpflichtet, sich über vorher aufgestellte Verkehrsschilder (hier: Überholverbot) zu erkundigen.
AG Dortmund, Urteil vom 11.04.2024 – 729 OWi-256 Js 414/24-34/24
Das Gericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Rentner grundsätzlich nicht auf eine Fahrerlaubnis angewiesen sind und dementsprechend auch keinerlei fahrverbotsrelevante Härten für sich geltend machen können allein aus der Tatsache, nicht über eine Fahrerlaubnis für eine befristete Zeit verfügen zu können.
BayObLG, Beschluss v. 02.04.2024 – 202 ObOWi 212/24
Entbindungsantrag 79 Minuten vor der Hauptverhandlung muss vom Gericht beachtet werden
Ein Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung, der 79 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung per beA das Gericht erreicht hat, muss beschieden werden, bevor das Gericht in der Sache entscheiden darf. Erreicht der Antrag aufgrund Verzögerungen in der Gerichtsorganisation die Richterin zu spät, darf das nicht zu Lasten des Antragstellers gehen.
Maßgeblicher Eingangszeitpunkt des für die Bearbeitung durch das Gericht geeigneten elektronischen Dokuments ist nach § 32a Abs. 5 Satz 1 StPO seine Speicherung auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des zuständigen Gerichts.
Auch dann, wenn der Entbindungsantrag als elektronisches Dokument per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) erst am Sitzungstag und nur kurz vor dem Termin (hier: 1 Stunde und 18 Minuten) bei einer für den gerichtlichen Eingang bestehenden ‚zentralen Stelle‘ eingeht, darf der Einspruch jedenfalls dann nicht ohne vorherige Entscheidung über den Entbindungsantrag verworfen werden, wenn der Antrag mit ‘offenem Visier’, d.h. nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht „versteckt“ oder „verklausuliert“ gestellt wurde. Darauf, ob der per beA übermittelte Entbindungsantrag bis zum Erlass der Entscheidung tatsächlich zur Kenntnis des Gerichts gelangt oder bei der zugehörigen Geschäftsstelle eingeht, kommt es nicht an. Maßgeblich ist allein, ob der Antrag bei gehöriger gerichtsinterner Organisation rechtzeitig hätte zugeleitet werden können.
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / FD-StrVR 2024, 812041
OLG, Beschluss vom 20.12.2023, 3 ORbs 289/23
Messprotokoll mit eingescannter Unterschrift
Ein Messprotokoll mit lediglich eingescannter Unterschrift der Messbeamten lässt die Urheberschaft der darin enthaltenen behördlichen Erklärung nicht zweifelsfrei erkennen;
es ist daher nicht geeignet, die Zeugenvernehmung des Messbeamten durch Verlesung (§ 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO) zu ersetzen, um die Verkehrssituation am konkreten Messstandort, den ordnungsgemäßen Aufbau und den ordnungsgemäßen Betrieb des Messgerätes und dessen Verwendung gemäß PTB-Zulassung zu belegen.
AG Schwerin, Beschl. v. 25.10.2023, 35 OWi 295/23
Sorge der Befangenheit begründet, wenn das Gericht die Messörtlichkeit besichtigt und die Messbeamten befragt, ohne vorher den Betroffenen bzw. seinen Verteidiger zu informieren.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.10.2023, 2 ORbs 168/23
Geeignetheit der Beweisfotos zur Identifizierung des Fahrers
Insbesondere wenn der Betroffene einen Dritten namentlich als Fahrer benennt, muss das Gericht in aller Regel diesen als Zeugen laden und gegebenenfalls vernehmen. Die bei der Verkehrsüberwachung zur Identifizierung des Täters gefertigten Lichtbilder sind nicht immer so klar und deutlich, dass es ausgeschlossen erscheint, eine andere Person als der Betroffene sei gefahren. Gerade weil das Gericht bei Anwesenheit des benannten Zeugen feststellen kann, ob dieser als Fahrer in Betracht kommt, ist die Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nummer 1 OWiG im Einzelfall nur bei Vorliegen besonderer Umstände abzulehnen. Derartige Umstände können zum Beispiel gegeben sein, wenn das Lichtbild von sehr guter Qualität ist, die auf dem Lichtbild abgebildete Person dem erschienenen Betroffenen “wie ein Spiegelbild” gleicht und der Betroffene nicht geltend macht, dass der benannte Zeuge ihm täuschend ähnlich sieht.
Und / aber:
Einer Vernehmung des Sohnes des Betroffenen bedarf es natürlich nicht, wenn sich anhand des Messfotos sicher ausschließen lässt, dass der Fahrer x Jahre alt ist oder sich das Amtsgericht mit Hilfe eines Lichtbildes des Zeugen (soziale Medien?) die sichere Überzeugung verschaffen kann, dass er nicht Fahrer gewesen ist.
BGH, Beschluss vom 10.10.2023 ‒ 4 StR 94/22
Fortwirkung einer nicht auf einen konkreten Termin bezogenen Entbindung des Betroffenen bei Verlegung eines HV-Termins
Die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG wirkt bei Verlegung des Hauptverhandlungstermins fort, so dass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin nicht erneut beantragt und erlassen werden muss.
BayObLG, Beschluss vom 26.09.2023 – 201 ObOWI 971/23
Keine Verpflichtung zur Bildung einer Rettungsgasse auf autobahnähnlich ausgebauter innerörtlicher Straße
Es überschreitet die Grenzen zulässiger Auslegung, entgegen dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 StVO die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse auf einer autobahnähnlich ausgebauten innerörtlichen Straße anzunehmen.
KG, Beschl. v. 18.09.2023 – 3 ORbs 184/23 – 122 Ss 86/23
Gestaltung des Bußgeldbescheids (Konkreter Tatvorwurf in „Anlage“)
Jedenfalls bei einfach und leicht verständlich gelagerten Sachverhalten ist es nicht zu beanstanden, wenn die Bußgeldbehörde den konkreten Tatvorwurf in einer Anlage zum Bußgeldbescheid erhebt und hierauf ausdrücklich Bezug nimmt („siehe Anlage“). Die „Anlage“ wird hierdurch Bestandteil des Bußgeldbescheids.
OLG Hamburg, Beschl. vom 11.09.2023 – 5 ORbs 25/23
Irrtum über Fehlfunktion einer Lichtzeichenanlage mit „Dauerrot“
Ja, was nun? Ein interessanter Fall, der sich da in Hamburg ereignet hat(te).
Eine Radfahrerin befuhr eine Straße und hielt vor einer Ampel, die ROT zeigte. Die Ampel war nicht defekt, aber mit einer Kontaktschleife ausgestattet, die aber von der Radfahrerin beim Befahren nicht ausgelöst wurde. Also blieb die Ampel auf ROT. Nach etwa 5 Minuten Warten fuhr dann die Radfahrerin weiter und bei ROT über die Kreuzung. Das Amtsgericht verurteilte sie zu einer Geldbuße von 100 EUR wegen vorsätzlichem Rotlichtverstoß. Auf den Einspruch wurde die Sache beim OLG Hamburg überprüft, welches den Vorgang an das Amtsgericht zurückgab, weil derzeit eine Verurteilung nicht in Frage kommt. Das Amtsgericht hat nun zu klären, ob u.a. die Kontaktschleife auch durch Radfahrende ausgelöst werden kann.
Na mal sehen, was nun aus der Sache wird. Wir werden berichten.
Quelle → VOLLTEXT unter DIREKTLINK hier
BayObLG, Beschluss vom 06.09.2023 – 202 ObOWi 910/23
Fehlerhafte Beweiswürdigung zur Begründung vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung auf Autobahn
1. Die Möglichkeit, die eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn anordnenden Verkehrszeichens übersehen zu haben, ist stets dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder im Verfahren von dem Betroffenen eingewandt wird, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben. Ist ein solcher Fall gegeben, müssen die tatrichterlichen Feststellungen deshalb selbst bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung eindeutig ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder aber den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.
2. Die der Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn (bedingt) vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde liegende Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie auf einer vom Tatgericht angenommenen Tatsachenalternativität beruht, deren Grundlagen durch die Beweisaufnahme nicht durch Tatsachen belegt sind, die erkennen lassen, dass die gezogenen Schlussfolgerungen mehr als nur eine Vermutung rechtfertigen.
Quelle → DIREKTLINK zum VOLLTEXT hier
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.8.2023 – 2 ORbs 37 Ss 506/23
Bedeutung des Messprotokolls für die Anwendung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens
Die Einhaltung der Bedingungen für ein standardisiertes Messverfahren kann auch anders als durch das Messprotokoll (hier: Vernehmung des Messbeamten) nachgewiesen werden.
KG, Beschl. v. 2.8.2023 – 3 ORbs 158/23 – 122 Ss 71/23
Geschwindigkeitsüberschreitung bei „dichtem Auffahren“ des Hintermanns
Es gibt keinen Rechtssatz, ein dichtes Auffahren durch das nachfolgende Fahrzeug rechtfertige oder entschuldige eine Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Hält das Tatgericht eine Geschwindigkeitsüberschreitung gleichwohl für „nicht vorwerfbar“, so hat es die konkreten Umstände in tatsächlicher Hinsicht in einer Weise darzustellen, die den inneren Zusammenhang zwischen dem dichten Auffahren und der Geschwindigkeitsüberschreitung erkennen lässt.
Und auch noch gleich was zum standardisierten Messverfahren:
Zeigt das Urteil nicht auf, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung durch ein standardisiertes Messverfahren festgestellt worden ist, so müssen den Gründen die Einzelheiten der Messung in einer Weise zu entnehmen sein, die es dem Rechtsbeschwerdegericht ermöglicht, die Zuverlässigkeit der Beweisgewinnung nachzuvollziehen.
Die Beweiswürdigung kann in diesem Fall die Vereinfachungen, die für standardisierte Messverfahren gelten, nicht beanspruchen.
LG Dessau-Roßlau v. 4.5.2023 – 6 Qs 394 Js 26340/21 (56/23)
Bußgeldverfahren und privates Messgutachten – Kostenerstattung?
Die Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens sind jedoch unter anderem dann ausnahmsweise als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre ( – 1 Qs 13/22 –, Beschluss vom 4.7.2022BeckRS 2022, 17434, Rn. 14 m.w.N.).
Unabhängig von der subjektiven Bewertung der Prozesslage durch den Betroffenen sind die Kosten eines durch ihn in dem Bußgeldverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens nach einem Freispruch von dem Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit aber jedenfalls dann erstattungsfähig, wenn das eingeholte Privatgutachten zu dem Freispruch beigetragen hat (vgl. , a.a.O., 7; Beschluss vom 12.7.2018 – 66 Qs 58/19 Beschluss vom 30.9.2019BeckRS 2019, 35426).
Die Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens im Rahmen eines Bußgeldverfahrens sind dann als notwendige Kosten im Sinne der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1, 464 a Absatz 1 Satz 2 StPO anzusehen, wenn ohne die Anbringung durch sachverständige Feststellungen unterlegte, konkrete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung damit zu rechnen gewesen wäre, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter den erleichterten Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie § 244 Abs. 4 S. 2 StPO ablehnen würde.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2023, 20982
AG Schwerin, Urteil vom 8.5.2023 – 35 OWi 83/23
Unberechtigtes Abstellen eines PKW auf Schwerbehinderten-Parkplatz
Das Auslegen eines Parkausweises im Inneren eines Fahrzeuges auf der Mittelkonsole auf Höhe der Sitzflächen ist nicht geeignet, um die Anforderungen an eine „gute Lesbarkeit“ zur erfüllen.
Quelle: BeckRS 2023, 10923 / beck-online
AG Ellwangen, Urt. v. 14.4.2023 – 7 OWi 36 Js 5096/23
Erhöhung des Regelsatzes der Geldbuße
Das Abtun eines Handyverstoßes als „Kleinigkeit“, eine ausgesprochene Drohung gegenüber Polizeibeamten sowie das Schlagen mit der flachen Hand auf die Motorhaube des Streifenwagens rechtfertigen bei der Bußgeldbemessung die Verdoppelung des Regelsatzes.
Quelle: VRR, 2023, Heft 6, Seite 3
OLG Karlsruhe, Beschl. vom 07.02.2023 – 2 ORbs 35 Ss 9/23
Zur Ahndbarkeit der Nutzung einer vom Fahrer nicht selbst aktivierten “Blitzer-App”
Ein durch § 23c Abs. 1 Satz 3 StVO verbotenes Verwenden der zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen bestimmten Funktion eines technischen Geräts, das auch zu anderen Nutzungszwecken verwendet werden kann, liegt auch dann vor, wenn ein anderer Fahrzeuginsasse mit Billigung des Fahrzeugführers auf seinem Mobiltelefon eine App geöffnet hat, mit der vor Verkehrsüberwachungsmaßnahmen gewarnt wird.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2023, 1923
OLG Koblenz, Beschl. v. 18.01.2023 – 4 ORbs 31 SsBs 17/23
Urteilsgründe, Einlassung, Messverfahren und Toleranzabzug
1. Die schriftlichen Urteilsgründe in einem Bußgeldverfahren müssen nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, sondern neben anderem auch erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder diese für widerlegt ansieht
2. Auf Angaben zum Messverfahren und Toleranzwert kann bei Geschwindigkeitsverstößen nur in den wenigen Fällen eines echten “qualifizierten” Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden. In den übrigen Fällen ist der Umfang eines gewährten Toleranzabzugs anzugeben.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2023, 1195
OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.01.2023, 1 OLG 53 Ss-OWi 584/22
Unwirksamkeit einer Urteilsunterschrift mangels erkennbaren Schriftzuges
Zur Wirksamkeit einer Unterschrift unter ein Urteil muss ein Mindestmaß an Ähnlichkeit mit dem ausgeschriebenen Namen jedenfalls in der Weise vorhanden sein, dass ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, dessen Namen aus dem Schriftbild noch herauslesen kann (Anschluss an BGH BeckRS 1959, 104628).
Eine Unterschrift ist insbesondere nicht ausreichend, wenn eine Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben oder einer Buchstabenfolge aus dem Namen des Richters nicht erkennbar ist.
Quelle: Beck-Online / BeckRS 2023, 618
Volltext: DIREKTLINK zum LANDESRECHT BRANDENBURG
BayObLG München v. 21.11.2022 – 201 ObOWi 1363/22
Pflichtverteidigerbeiordnung im Bußgeldverfahren bei Analphabetismus des Betroffenen
Eine Pflichtverteidigerbestellung in Bußgeldverfahren ist nur in Ausnahmefällen geboten. Einem Analphabeten ist aber für die Hauptverhandlung ein Verteidiger zu bestellen, wenn eine sachgerechte Verteidigung Aktenkenntnis erfordert oder eine umfangreiche Beweisaufnahme dem Betroffenen Anlass gibt, sich Notizen über den Verhandlungsablauf und den Inhalt von Aussagen zu machen, weil er sie als Gedächtnisstütze benötigt. In diesem Fall liegt nach § 140 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann.
OLG Brandenburg v. 17.11.2022 – 2 OLG 53 Ss-OWi 388/22
Vorsatz oder eben dann doch (wie hier) Fahrlässigkeit beim Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit – Streckenverbot
Ein Streckenverbot, das wie hier zusammen mit einem Gefahrenzeichen angeordnet ist, entfällt auch ohne Aufhebungszeichen (Zeichen 282) dann, wenn sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht (Erläuterung Nr. 55 Satz 2 der Anlage 2 zu § 41 StVO; vgl. OLG Celle, Beschl. v. 8. November 2018 — 3 Ss [OWi] 190/18, zit. nach Juris).
Über diesen Regelungsgehalt der geltenden Norm und deren rechtliche Bedeutung hat der Betroffene sich nach den Urteilsgründen nicht geirrt. Sein Irrtum bezieht sich vielmehr auf den äußeren, die Örtlichkeit betreffenden Umstand, dass die Gefahrenstelle hier entgegen seiner Annahme nicht zweifelsfrei geendet hatte, sondern die Gefahr weiterhin bestand und die streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkung deshalb noch fort galt. Dem liegt eine fahrlässige Fehleinschätzung der Örtlichkeit und damit eines Umstandes zugrunde, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Bei dieser Sachlage ist für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens kein Raum (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Der Betroffene handelte vielmehr fahrlässig (§ 11 Abs. 1 Satz 2 OWiG).
OLG Brandenburg v. 12.09.2019 – (2 Z) 53 Ss-OWi 488/19 (174/19)
Geltungsbereich von Geschwindigkeitsbegrenzungen – “Montag bis Freitag” und Zusatzzeichen “Schule”
Für Montag bis Freitag getroffene Anordnungen von Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten auch an gesetzlichen Feiertagen, die auf einen Wochentag fallen. Dies gilt auch dann, wenn die Geschwindigkeitsbegrenzung zusätzlich mit dem Zusatzzeichen „Schule“ (Nr. 1012-50 VzKat) beschildert war.
Quelle: BeckRS 2019, 23702 / beck-online
OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.08.2017, 2 Ss (OWi) 213/17
Unberechtigtes Befahren eines nur für Anlieger freigegebenen Bereichs
Bei Befahren eines nur für Anlieger freigegebenen Bereichs (hier: mit einem Fahrzeug über 3,5 t Masse) darf das Amtsgericht bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgehen, der Bereich sei unberechtigterweise befahren worden.
Grundsatzfrage – um wieviel schneller muss man beim Überholen sein?
Eine sehr gute Übersicht über die Einzelfall-Rechtsprechung findet sich in den Entscheidungsgründen aus
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.11.2009 – 1 SsRs 45/09
Als maßgebliche Werte in Betracht gezogen wurden dabei sowohl der absolute Geschwindigkeitsdifferenz, der sich auf die für den Überholvorgang erforderliche Zeit auswirkt, wie auch der relative Unterschied, der die Länge des während des Überholvorgangs zurückgelegten Weges bestimmt (BayObLG VRS 15, 302). Für einen Verstoß wurde es jedenfalls als ausreichend angesehen, wenn die absolute Geschwindigkeitsdifferenz als zu gering anzusehen ist und der Überholvorgang daher zu viel Zeit in Anspruch nimmt (BayObLG DAR 1961, 204).
Innerorts wurde dabei eine Differenz von 50 zu 40 km/h (BGH VersR 1968, 1040, 1041; BGH VM 1966, 73, 74; BayObLG VRS 15, 302, 303; OLG Köln VRS 87/1994, 19, 21)
bzw. – auf vierspuriger Straße – sogar von 50 zu 45 km/h (OLG Bremen VRS 28, 50, 53) als noch zulässig angesehen; der Verkehrsfluss solle nicht durch ein sonst eintretendes faktisches Überholverbot gestört werden.
Auf der Autobahn wurde dagegen ein Geschwindigkeitsunterschied von 10km/h als zu knapp beurteilt, jedenfalls bei beiderseits eher langsamem Tempo von 80 zu 70 km/h (OLG Frankfurt OLGR 1993, 19 f.).
Bei alledem wurde auch ausdrücklich betont, dass es auf die konkrete Verkehrslage im Einzelfall ankomme (OLG Bremen VRS 28, 50, 53; BayObLG DAR 1961,204;205).
Für den auch hier gegebenen Fall eines Überholvorganges zwischen Lkw auf der Autobahn (sog. “Elefantenrennen”) hat das OLG Hamm in einer aktuellen Entscheidung (NZV 2009, 302) eine Geschwindigkeitsdifferenz von 10 km/h (80 zu 70 km/h) als noch regelkonform beurteilt.
Ausgehend vom Zweck des § 5 Abs. 2 S. 2 StVO, Behinderungen durch überlange Überholvorgänge zu verhindern, dürfe hier aber nicht einseitig des Interesse der am schnellen Fortkommen interessierten Pkw-Fahrer in den Vordergrund gestellt werden; auch gegenüber Lkw auf zweispurigen Autobahnen sei ein faktisches Überholverbot zu vermeiden. Es sei daher eine beiderseits zumutbare und für Verkehrsüberwachungsmaßnahmen praktikable Lösung zu suchen. Eine Ahndung komme dabei nur dann in Betracht, wenn der Verkehrsfluss tatsächlich unangemessen behindert werde, was zu verkehrsarmen Zeiten, insbesondere auf dreispurigen Strecken, ausscheiden könne. Ahndungswürdig sei ein derartiges Überholen aber dann, wenn es eine unangemessene Zeitspanne in Anspruch nehme und der schnellere Pkw-Verkehr nicht nur kurzfristig behindert werde.
Als Faustregel für einen noch regelkonformen Überholvorgang sei eine Dauer von höchstens 45 Sekunden anzusetzen, was nach einer vom OLG Hamm angestellten Berechnung (Länge des überholten Fahrzeugs von knapp 25 m; vor und nach dem Überholen vorgeschriebener Sicherheitsabstand von 50 m, § 4 Abs. 3 StVO) einer Geschwindigkeit von 80 km/h für das überholende und 70 km/h für das überholte Fahrzeug entspreche. Auch wenn damit der konkreten Verkehrssituation im Einzelfall nicht immer Rechnung getragen werden könne, seien jedenfalls Überholvorgänge auf zweispurigen Autobahnen, die bei einer Dauer von mehr als 45 Sekunden bzw. einer Differenzgeschwindigkeit von unter 10 km/h zu einer deutlichen Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer führten, bußgeldrechtlich zu ahnden.
Diesen in Begründung und Ergebnis überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat jedenfalls insoweit an, als eine Differenzgeschwindigkeit von 10 km/h in dem für Überholvorgänge zwischen Lkw üblichen Bereich von um die 80 km/h noch als grundsätzlich zulässig zu beurteilen ist.
Siehe hierzu (die auch zuvor zitierte Entscheidung)
OLG Hamm, Beschluss vom 29.10.2008, 4 Ss OWi 629/08
Quelle → DIREKTLINK zum VOLLTEXT