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LG Bielefeld, Urteil vom 17.05.2021, 18 O 144/20
Ein VN, der ein gebrauchtes KFZ mit nur einem Schlüssel erwirbt, handelt nicht grob fahrlässig, wenn er die Schließanlage nicht austauscht.
Insbesondere folgt aus dem Umstand, dass der Kläger das Fahrzeug lediglich mit einem Schlüssel gekauft hat nicht, dass ein vollständiger Austausch der Schließanlage notwendig gewesen wäre. Der Verlust des Zweitschlüssels oder auch der Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs mit nur einem Schlüssel sind nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht derart unüblich, dass daraus gesteigerte und in einem solchen Maße aufwendige Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind. Eine solche gesteigerte Sicherungspflicht oder Pflicht zum Austausch der Schließanlage folgt auch nicht aus dem Umstand, dass ein Fahrer des Verkäufers das Auto von Rumänien nach Z. gefahren hat.
Quelle → VOLLTEXT / LG BIELEFELD / 17.05.2021 / 18 O 144/20
Leitsatz → zfs 2022, 212 (DeutscherAnwaltVerlag)
OLG Hamm, Beschluss vom 19.7.2021 – 20 U 129/21
AKB: Leistungskürzung auf Null wegen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit
Im Streitfall (Blutalkoholgehalt zum Unfallzeitpunkt mindestens 0,88 o/oo; weitere Umstände) ist eine Leistungskürzung auf Null gerechtfertigt.
Dabei ist zwar selbst in Fällen absoluter Fahruntüchtigkeit immer eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles erforderlich, so dass nicht pauschal in jedem Fall von Fahruntüchtigkeit eine Leistungskürzung auf Null vorzunehmen ist (aaO Rn. 33). Eine Leistungsfreiheit des Versicherers kommt aber jedenfalls auch dann in Betracht, wenn – wie hier – in einem Fall relativer Fahruntüchtigkeit die Blutalkoholkonzentration nicht weit von der absoluten Fahruntüchtigkeit entfernt ist und sich der Alkohol erheblich auf den Eintritt des Unfalls ausgewirkt hat, ohne dass Umstände vorgetragen sind, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit jedenfalls im subjektiven Bereich in milderem Licht erscheinen lassen.
Quelle → BeckRS 2021, 34270, beck-online
OLG Dresden, Beschluss vom 5.7.2021 – 4 U 428/21
Fahrzeugdiebstahl, Obliegenheitsverletzung, Teilkaskoversicherung
1. Die für das äußere Bild eines versicherten Diebstahls erforderlichen Mindesttatsachen können nur dann durch informatorische Anhörung des Versicherungsnehmers bewiesen werden, wenn Zeugen hierfür nicht zur Verfügung stehen.
2. Die Berufung auf eine Obliegenheitsverletzung seitens des Versicherers erfordert in der Regel die Vorlage der Versicherungsbedingungen, die eine solche Obliegenheit enthalten.
3. Werden Fahrzeugschlüssel nicht so aufbewahrt, dass sie vor dem unbefugten Zugriff Dritter geschützt sind, kann hierin ein grob fahrlässiges Verhalten liegen (im vorliegenden Fall verneint).
Quelle → Beck-Verlag / BeckRS 2021, 23349 / beck-online
OLG Dresden, Beschluss vom 19.07.2021 – 4 W 475/21
Kfz-Versicherung deckt Explosion der Batterie beim Startvorgang ab
1. Nach dem Sinn und Zweck der Kfz-Versicherung sind nur unmittelbar vom Fahrzeug ausgehende Gefahren abgedeckt. Eine solche Gefahr stellt aber die Explosion der Batterie des versicherten Fahrzeugs beim Startvorgang dar, auch wenn dieser mit einer Starthilfe
durch ein anderes Fahrzeug unterstützt wird.
2. Weder die kurzzeitige Außerbetriebssetzung noch die Veräußerung des Fahrzeugs lassen eine Ruhensversicherung als Bestandteil der Kfz-Haftpflicht entfallen.
Die Außerbetriebsetzung eines Fahrzeugs im Sinne des § 14 FZV bedeutet
keinen Wagniswegfall nach G.8 AKB 2015, da das Kfz als versichertes Objekt oder als Ausgangspunkt einer Haftung nicht wegfällt und sie außerdem im Zweifel nicht als endgültig gedacht ist. Bei einer vom Versicherungsnehmer gewollten, nur vorübergehender Stilllegung eines Fahrzeugs, die länger als 2 Wochen, aber nicht länger als 18 Monate andauert, wandelt sich eine uneingeschränkte Fahrzeugversicherung vielmehr gem. H.2 AKB 2015 (automatisch) in eine beitragsfreie Ruheversicherung um, wenn der Versicherungsnehmer mit der Abmeldung des Fahrzeugs dieses (noch) nicht endgültig aus dem Verkehr ziehen wollte (OLG Jena, Urteil vom 13. März 2012 – 4 U 151/11 –, juris). Von letzterem ist bis zu einer gegenteiligen Äußerung des Versicherungsnehmers auszugehen, der Versicherer hat einen fehlenden Wiederzulassungswillen des Versicherungsnehmers zu beweisen (LG Nürnberg-Fürth ZfS 2013, 156).
Quelle → VOLLTEXT unter Justiz Sachen / Aktenzeichen eingeben
OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.06.2021 – 9 U 54/19
Versicherungsschutz in der Kfz-Vollkaskoversicherung / Öffnen einer Verkaufsklappe eines Grillhähnchenwagens während der Fahrt
1. Bleibt ein Grillhähnchen-Verkaufswagen beim Vorbeifahren an einer Hausecke hängen, weil sich die seitliche Verkaufsklappe während der Vorbeifahrt geöffnet hat, handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis im Sinne von A.2.3.2 AKB 2008, also um einen Unfall im Sinne der Vollkaskoversicherung.
2. Die Regelung in den Versicherungsbedingungen, wonach „Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs nicht als Unfallschäden gelten“ enthält keine Ausschlussklausel. Die Regelung hat lediglich deklaratorischen Charakter.
3. Für den Versicherungsschutz in der Vollkaskoversicherung spielt es keine Rolle, ob der Versicherungsnehmer die Verkaufsklappe des Fahrzeugs vor Fahrtantritt fahrlässig unzulänglich befestigt hat. Denn die Vollkaskoversicherung gewährt Versicherungsschutz gerade in den Fällen, in denen der Versicherungsnehmer fahrlässig zum Unfallereignis beigetragen hat.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 19567 / beck-online
Fiktive Bestimmung des Restwertes in der Kaskoversicherung
Wird ein kaskoversichertes Fahrzeug, welches bei einem Unfall beschädigt oder zerstört wurde, nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert oder kann der Versicherungsnehmer nicht durch eine Rechnung die vollständige Reparatur nachweisen, so ist,
wenn sich der Versicherungsnehmer entschließt, das beschädigte oder zerstörte Fahrzeug nicht zu veräußern,
bei der fiktiven Bestimmung des Restwertes des Fahrzeugs lediglich der regionale Markt für den Aufkauf solcher Fahrzeuge am Sitz des Versicherungsnehmers in den Blick zu nehmen.
Quelle → BGH – fiktive Bestimmung des Restwertes in der Kasko
LG Magdeburg, Urteil vom 11.09.2018, 11 O 217/18 (042)
Kfz-Kaskoversicherung: Leistungskürzung bei grob fahrlässiger Ermöglichung eines Kfz-Diebstahls
Ein Versicherungsnehmer, der nach dem Versicherungsvertrag ausdrücklich dazu verpflichtet ist, seine Garage als nächtlichen Einstellplatz für sein Auto zu nutzen, handelt grob fahrlässig, wenn er das Auto nachts vor der Garage abstellt.
Angesichts dieser Obliegenheitsverletzung ist der Versicherer zu einer Leistungskürzung in Höhe von 30 % berechtigt.
Volltext → LG Magdeburg / 11 O 217/18 (042)
Kritik → Aber so wirklich überzeugt das Urteil nicht, weil das Gericht nach vielfacher Einschätzung nicht exakt mit der Trennung der Bestimmungen zur Gefahrerhöhung und zu den vertraglichen Obliegenheiten sowie zur Herbeiführung des Versicherungsfalls umgeht.
OLG Dresden, Urteil vom 16.02.2021, 4 U 1909/20
Beweislast für die Beseitigung von Vorschäden
Auch in der Kaskoversicherung trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast für die Beseitigung von Vorschäden, sofern diese nicht eindeutig von den geltend gemachten Unfallschäden abgegrenzt werden können.
Optisch unauffällige Vorschäden (hier Lackkratzer) rechtfertigen des Schluss vom Schadensbild auf eine Kenntnis des Versicherungsnehmers und die Annahme einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung auch dann nicht, wen ihre Beseitigung mit erheblichen Kosten verbunden ist.
Aus den Gründen:
Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert eine Feststellung der Schadenshöhe auch nicht an einer Teilüberlagerung von Vor- und Unfallschäden. Allerdings trägt der Geschädigte die volle Beweislast für die Abgrenzung des Neuschadens, wenn er Schadensersatz im Fall einer Teilüberlagerung von Vorschäden mit geltend gemachten Schäden fordert (vgl. 16 O 452/14; , Urt. v. 08.01.2016 – 2b O 183/12; Hoffman-Benz, juris PR-VerkR 3/2014 Anm. 2; , Urteil vom 01.10.2013 – 10 O 1419/12; Wenker, juris PR-VerkR 1/2014 Anm. 2). Nach der ganz herrschenden Rechtsprechung (vgl. , Urteil vom 30.10.2013 – 1 U 205/10; , Urteil vom 15.06.2011 – 12 U 128/09; , Beschluss vom 22.03.2010 – 11 U 214/12 – juris) hat der Geschädigte darzulegen, dass die Vorschäden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Eintritt des neuen Schadenfalles fachgerecht beseitigt worden sind. Dem Geschädigten obliegt es, ausreichende Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung nach , Beschluss vom 08.04.2013 – § 287 ZPO vorzutragen und unter Beweis zu stellen (vgl. 11 U 214/12). Dazu muss er ausschließen, dass ähnliche Schäden im gleichen Bereich schon früher vorhanden waren (vgl. z. B. , Beschluss vom 08.04.2013 – 9 U 238/12; , Urteil vom 01.02.2013 – 6 U 362/03). Erst wenn detailliert nachgewiesen wurde, welche technisch abgrenzbaren Vorschäden durch welche Reparaturmaßnahmen fachgerecht beseitigt worden sind, besteht Raum für eine Schätzung der Schadenshöhe ( , Urteil vom 18.07.2003 – § 287 ZPO). So liegt der Fall hier indes nicht. Vorliegend steht die Schadenskompatibilität des überwiegenden Teils der Schäden fest. Der Sachverständige S… hat in seinem Gutachten die Übereinstimmung der Schäden mit dem geschilderten Unfallverlauf in einem Umfang von 5.360,91 € netto eindeutig bejaht und diese Schäden auch eindeutig von den Vorschäden abgegrenzt. Zudem hat der Kläger auch nicht einzelne Kratzer in seiner Schadensmeldung angegeben – wozu er auch nicht verpflichtet gewesen wäre. Vielmehr erfolgte die Schadensfeststellung durch einen Gutachter der Beklagten – den Sachverständigen N. -, der an der Plausibilität der Unfallursächlichkeit der Schäden – bis auf wenige Kratzer und Parkdellen – keine Zweifel hatte.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.12. 2020 – 9 U 124/18
Vollkaskoschutz nach dem Platzen eines Reifens – und am besten den “alten” Reifen aufbewahren
oder Unfall im Sinne der Kaskobedingen bei Eindringen eines Fremdkörpers
Wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt, handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, mithin um einen Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Fremdkörper auf der Fahrbahn liegt und vom Fahrzeug überfahren wird, oder ob sich der Fremdkörper schon vorher im Reifen befand und erst später durch Einwirkungen während der Fahrt das Platzen des Reifens verursacht.
Ein Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung liegt hingegen nicht vor, wenn ein schon vorher bestehender Reifenschaden, eine fehlerhafte Montage oder fehlerhafter Luftdruck alleinige Ursache für das Platzen des Reifens während der Fahrt ist.
Thema Beweislast:
Macht der Versicherungsnehmer nach dem Platzen eines Reifens Leistungen aus der Vollkaskoversicherung geltend, muss er die Voraussetzungen eines Unfalls beweisen. Dazu gehört der Nachweis, dass ein eingedrungener Fremdkörper für das Platzen des Reifens ursächlich war.
Quelle: aus BeckRS 2020, 37565
LG Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020, 13 O 688/20
Diebstahl nach Schlüsseleinwurf in Werkstatt-Briefkasten – grobe Fahrlässigkeit und Leistungsfreiheit der Teilkasko?
Wie so oft im Recht, ist das eine Frage des Einzelfalles und dazu führt das LG Oldenburg in den Entscheidungsgründen aus:
Es ist zwar anerkannt, dass das Einwerfen eines Schlüssels in den Briefkasten eines Autohauses den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit erfüllen kann (siehe beispielsweise OLG Köln, 9U 65/00); dieser Grundsatz gilt aber nicht ohne Weiteres. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalles, so dass es also darauf ankommt, ob es für jeden einleuchtend und ersichtlich ist, dass ein in den Briefkasten eingeworfener Schlüssel im konkreten Einzelfall leicht wieder herausgezogen werden kann, und ob sonstige äußere Umstände den Verdacht aufkommen lassen müssen, der Schlüssel sei dort nicht sicher und dem Zugriff Dritter leicht ausgesetzt.
LG Düsseldorf, Urteil vom 19.10.2018, 21 O 324/16
Keine grobe Fahrlässigkeit bei Zusammenstoß mit Straßenbahn
Bei fehlender Ortskenntnis kann bezüglich eines Unfalls eine grob fahrlässige Herbeiführung zu verneinen sein, wenn örtliche Besonderheiten vorliegen, die sich einem Ortsunkundigen nicht sogleich erschließen.
Quelle: Beck-Verlag / r+s 2020, 498
OLG Frankfurt / Main, Urteil vom 26.09.2018, 13 U 43/17
Nachhaftung gem. § 117 VVG für sog. Kurzkennzeichen
Auch bei sog. “Kurzkennzeichen” ist der Versicherer gegenüber Dritten ebenfalls der Nachhaftung nach § 117 VVG unterworfen.
OLG Hamm, Urteil vom 07.02.2007, 20 U 134/06
Ein Abkommen von einer schmalen Fahrbahn auf den Grünstreifen begründet nicht ohne Weiteres grobe Fahrlässigkeit
Im Streitfall ist der Kläger von einer schmalen Fahrbahn mit unbefestigtem Randstreifen abgekommen; der Spurverlauf zeigt, dass er mit den rechten Rädern auf die dichte Grasnarbe neben seiner Fahrspur geraten ist, und dies bei einer Lenkbewegung, die nach den Berechnungen des Sachverständigen eine Zeitraum von nicht mehr als einer Sekunde gedauert hat. Aus einem solchen Fahrfehler ist dem Kläger nicht der Vorwurf eines schlechthin unentschuldbaren Verstoßes gegen seine Sorgfaltspflichten zu machen.
Und:
Wenn ein Versicherungsnehmer nicht in der Lage ist, einen plausiblen Grund für das Abkommen von der Fahrbahn anzugeben, kann daraus keine Umkehr der Beweislast abgeleitet werden, die nach § 61 VVG dem Versicherer obliegt.
Aber:
Wie das Abkommen von einer sehr breiten, gut ausgebauten und etwa mit Randstreifen versehenen Fahrbahn ohne plausiblen Grund zu beurteilen sein würde, kann der Senat offen lassen.
Quelle → VOLLTEXT / OLG Hamm / 20 U 134/06