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BGH, Urteil vom 19.12.2017, VI ZR 577/16
Die Ersatzfähigkeit eines Rückstufungsschadens in der Kfz-Kaskoversicherung kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass dieser nur im Hinblick auf den eigenen Haftungsanteil des Geschädigten eingetreten sei, denn der Nach-teil der effektiven Prämienerhöhung tritt – unabhängig von der Regulierungshöhe – allein dadurch ein, dass Versicherungsleistungen in der Kaskoversicherung in Anspruch genommen werden.
Kommt es hierzu durch ein Ereignis, das teils vom Schädiger, teils vom Versicherungsnehmer zu vertreten ist, so ist der Schaden wie jeder andere nach den hierfür geltenden Regeln zu teilen.
AG Frankenthal, Urteil vom 07.09.2017, 3a C 140/17
Liegenbleiben des Anfahrenden an der “grün” zeigenden Ampel, Haftungsquote 25% zugunsten des Auffahrenden.
Kommt es beim Anfahren nach dem Umschalten der Verkehrsampel auf Grünlicht zu einem Auffahrunfall, weil der Vorausfahrende den Motor des schon rollenden Fahrzeugs aufgrund eines Fahrfehlers „abwürgt“ oder der Motor aufgrund eines anderen Umstandes aus geht, ist eine Mithaftung des Vorausfahrenden in Höhe von 25 % gerechtfertigt (LG Hagen (Westfalen), Beschluss vom 12.12.2012 – 7 S 100/12 , AG Menden, Urteil vom 12.07.1995 – 4 C 165/95; BGH, Urteil vom 09.01.1959 – VI ZR 202/57 jeweils m.w.N.), da das durch das Abwürgen/Ausgehen des Motors herbeigeführte ruckartige Anhalten des vorausfahrenden Pkw’s ohne zwingenden Grund und wegen des Nichtaufleuchtens der Bremslichter zudem ohne deutlich erkennbare Warnung für den nachfolgenden Fahrzeugführer erfolgte. Ein Sicherheitsabstand gemäß § 4 Abs. 1 StVO innerorts ist beim Anfahren nicht einzuhalten (Landgericht Nürnberg, Versicherungsrecht 1990, 286).
OLG Bremen, Urteil vom 20.12.2017, 1 U 37/17 / 1 U 42/17
§ 8 Abs. 1 StVO (“Rechts vor Links”) und die Ausnahme “Feld- oder Waldweg” aus § 8 Abs. 1 Nummer 2 StVO
Entgegen der Annahme des Landgerichts war vielmehr der Beklagte der Klägerin gegenüber wartepflichtig. Auf die Vorfahrtsituation an der Einmündung des „Stichwegs“ zur X-Weg in den Y-Wanderweg findet die Ausnahmevorschrift des § 8 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 StVO, die den Grundsatz „rechts vor links“ für Fahrzeuge aufhebt, welche aus einem Feld- oder Waldweg auf eine andere Straße kommen, keine Anwendung. Die Klägern hat sich der Unfallstelle nicht auf einem Feld- oder Waldweg im Sinne des § 8 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 StVO genähert. Vielmehr galt im Einmündungsbereich die allgemeine Vorfahrtregelung “rechts vor links” gemäß 8 Abs.1 Satz Ziff.1 StVO. Da die Vorfahrtregelung somit im Vergleich zu der Feststellung des Landgerichts einen genau umgekehrten Inhalt hat, kann der Klägerin auch nicht der überwiegende Verursachungs- und Verschuldensanteil an der Entstehung des Schadensereignisses zugewiesen werden.
Die Frage, wann ein Weg als Feld- oder Waldweg im Sinne der vorgenannten Vorschrift einzuordnen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert.
Nach einer Ansicht soll es allein auf den äußeren Anschein ankommen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, § 8 StVO, Rn. 36 mit Hinweis auf OLG Koblenz, Urteil v. 13.05.1985 – 12 U 876/84, juris, VRS 69,101; OLG Düsseldorf, Urteil v. 10.01.1974 – 12 U 37/72, juris, DAR 1974, 192; OLG Hamm, Urteil v. 17.12.1974 – 5 Ss 682/74, VRS 49, 147). Die Vertreter dieser Meinung begründen ihre Auffassung damit, dass sich die Verkehrsteilnehmer an Ort und Stelle ein zuverlässiges Bild von der Qualifizierung der jeweiligen Straße machen müssten. Gerade der Ortsunkundige werde in der Regel nicht wissen, welche Verkehrsbedeutung die jeweilige Straße habe, ob und in welchem Umfang sie frequentiert werde und ob es sich um eine Verbindungsstraße handelt. Demgegenüber seien aber die örtliche Gestaltung und insbesondere der Ausbau der Straße im Einmündungsbereich für jeden Benutzer augenfällig.
Nach der in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Gegenmeinung kommt es hingegen für die Einordnung als Feld- oder Waldweg maßgeblich auf die Verkehrsbedeutung an (vgl. BGH, Urteil v. 18.11.1975 – VI ZR 172/74, juris Rn.16 f; OLG München, Urteil v. 18.09.1975 – 24 U 749/75, juris Ls., VersR 1976, 100; OLG Düsseldorf, Urteil v. 09.10.1980 – 12 U 44/80, juris Ls., VersR 1981, 862; OLG Rostock, Urteil v. 23.02.2007 – 8 U 40/06, juris Rn. 15 ff; OLG Düsseldorf, Urteil v. 10.02.2015 – I-1 41/14, juris Rn.15 ff m.w.N.). Unter Feld- und Waldwegen seien dann nur solche Straßen zu verstehen, die zumindest überwiegend land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken dienen und keine überörtliche Bedeutung haben. Wenn der Weg weder zu einer Ortschaft, noch zu einem Gebäude, noch zu einem Wirtschaftsbetrieb, sondern allein zu Feldern führte, handele es sich um einen Feldweg, der gegenüber der Landesstraße untergeordnet sei (BGH, Urteil v. 18. 11.1975 – VI ZR 172/74, juris Rn. 16; OLG Düsseldorf, Urteil v. 09.10.1980, a.a.O., Hentschel, Straßenverkehrsrecht, a.a.O.). Ob ein Weg ein Feld- oder Waldweg sei, sei daher im Wesentlichen eine Frage tatrichterlicher Beurteilung. Diese müsse sich auch allein nach seinem wirklichen Charakter und nicht nach sonstigen Kriterien richten, also z.B. nicht nach seiner katastermäßigen Erfassung oder seiner öffentlich-rechtlichen Widmung (vgl. BGH, Urteil 10.06.1969 – VI ZR 35/68, juris, VersR 1969, 832 m.w.N.). Auf die Art der Wegbefestigung könne es nicht ankommen, weil diese regelmäßig nicht im Zusammenhang mit der überwiegenden Nutzung stehe. Auch verliere nicht jeder Feld- oder Waldweg, obschon er seine Funktion beibehalten habe, dadurch seine Eigenschaft, dass er eine Beton- oder Asphaltdecke erhalte. Für die Einstufung einer Straße könne es auch nicht darauf ankommen, ob ein ortsfremder Besucher aus dem Zustand des Weges zweifelsfrei auf die Qualifizierung desselben schließen kann.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.10.2017, I-1 U 133/16
Rückwärtsfahren in einer Einbahnstraße kann zur vollen Haftung führen
Zum Sachverhalt:
Die Beklagte zu 1. war mit einem Pkw auf der Suche nach einem Parkplatz.
Sie fuhr zunächst auf der Einbahnstraße in der durch das Verkehrszeichen 220 angezeigten Richtung an dem Taxistand vorbei.
Der Kläger, der inzwischen … Fahrgast aufgenommen hatte, begann vorwärts auf die Fahrbahn einzufahren und fuhr mit dem Frontbereich seines Taxis ca. 30 bis 40 cm aus der Parklücke heraus.
Die Beklagte zu 1., die das Taxi des Klägers bereits passiert hatte, sah im Vorbeifahren, dass hinter ihr eine Parklücke frei werden würde, stoppte und fuhr rückwärts die Einbahnstraße entlang, um zu der Parklücke zu gelangen.
Dabei kam es zur Kollision des von ihr gefahrenen Fahrzeugs mit dem Taxi.
Aus den Gründen:
Frage der Haftung (hier 100 %) des Rückwärtsfahrenden …
Der Beklagten zu 1. fällt ein schuldhafter Verstoß
gegen das Gebot, eine Einbahnstraße nur in die vorgeschriebene Fahrtrichtung zu befahren (Vorschriftszeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO)
sowie ein solcher gegen § 9 Abs. 5 StVO zur Last, welche sich die Beklagte zu 2. zurechnen lassen muss.
Auch wenn das bloße Rückwärtseinparken in Einbahnstraßen zulässig ist, da es sich insoweit um ein zulässiges Rangieren des Kfz handelt, stellt das Rückwärtsfahren zu einer Parklücke ein Fahren gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung dar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. Juli 1977 – 3 Ss (B) 122/77 = VRS 54, 150; LG Berlin, Beschluss vom 22. Juli 2013 – 44 S 191/12 –, Rn. 4, juris). Aus der informatorischen Anhörung des Klägers (Bl. 71 d. A.) und der Vernehmung der Zeugin T. (Bl. 75 d. A.) ergibt sich, dass die durch die Beklagte zu 1. zurückgelegte Fahrstrecke bis zu sechs Autolängen betragen hat. Selbst nach den eigenen Angaben in der informatorischen Anhörung ist die Beklagte zu 1. jedenfalls zwei bis drei Fahrzeuglängen rückwärts gefahren, um die freiwerdende Parklücke zu erreichen (Bl. 157 d. A.). Hierbei handelt es sich jedenfalls um eine Rückwärtsfahrt, die in der Länge über die notwendige Strecke für ein unmittelbares rückwärtiges Einparken klar hinausgeht (so auch KG, VRS 60, 382 für eine Fahrtstrecke von 10 – 15 m) und damit entgegen des Richtungspfeiles des Verkehrszeichens 220 unzulässig ist. Dieser Verstoß ist auch kausal für die Kollision geworden, da diese durch eine Vorwärtsfahrt und ein erneutes Einfahren in die Einbahnstraße verhindert worden wäre.
Allerdings wird teilweise die Auffassung vertreten, dass das Rückwärtsfahren kein Richtungsfahren im Sinn der für den fließenden Einbahnverkehr durch das Verkehrszeichen Z 220 vorgeschriebenen Fahrtrichtung, sondern eine Behelfsmaßnahme sei, die sich immer entgegen der Richtung des fließenden Verkehrs vollziehe. Daher sei das Rückwärtsfahren auf Einbahnstraßen ebenso zulässig wie auf Straßen mit Verkehr in beiden Richtungen (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 9 StVO Rn. 67; einschränkend OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.1977 – 4 Ss OWi 1426/76, VRS 53, 383).
Dieser Auffassung vermag der Senat sich angesichts der Gefährlichkeit der Rückwärtsfahrt in einer Einbahnstraße, wo niemand mit ihm entgegenkommenden Verkehr – ob in Vorwärts- oder Rückwärtsfahrt – rechnet, nicht anzuschließen. Denn weder Fußgänger noch in der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fahrende Verkehrsteilnehmer richten ihre Aufmerksamkeit auf Verkehr entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung aus, egal, ob dieser ihnen in Vorwärts- oder Rückwärtsfahrt entgegenkommt. Dementsprechend wird von der Literatur und Rechtsprechung einhellig jegliche Rückwärtsfahrt in einer Einbahnstraße als besonders gefährlich eingestuft. Denn wer in einer Einbahnstraße, wo dies niemand erwartet, – auch nur zum unmittelbaren Einparken – rückwärts fährt, muss den rückwärtigen Verkehr ständig äußerst sorgfältig beobachten und sofort anhalten können; bei einem Unfall spricht der Anschein gegen ihn (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 9 StVO, Rdn. 51 mit Hinweis auf OLG Düsseldorf VRS 55, 412 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen; ebenso Senat, Urteil vom 18.06.2001, 1 U 276/99). Dementsprechend ist auch eine Rückwärtsfahrt in einer Einbahnstraße außerhalb des Zurücksetzens zum unmittelbaren Einparken als unzulässige Fahrt entgegen der Fahrtrichtung der Einbahnstraße und Verstoß gegen das Verkehrszeichen 220 anzusehen.
Der Beklagten zu 1. ist zudem ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, jedenfalls aber ein erheblicher Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen.
Nach § 9 Abs. 5 StVO muss, wer ein Fahrzeug führt, sich beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen. Der Fahrer muss sich nicht nur zu Beginn seiner Rückwärtsfahrt, sondern auch währenddessen ständig davon überzeugen, dass anderen Personen im Straßenverkehr durch sein Verhalten kein Schaden droht. Nur überblickbarer und mit Gewissheit freier Raum darf rückwärts befahren werden. Der Rückwärtsfahrende muss dabei sicherstellen, dass nicht nur der Gefahrraum hinter seinem Kfz, sondern auch an den Seiten freibleibt. Es darf nur so langsam gefahren werden, dass er erforderlichenfalls sofort anhalten kann (OLG Düsseldorf v. 23.02.20216 – I-1 U 79/15, Rdn. 39). Diesen Maßstäben kam die Beklagte zu 1. nicht nach, da sie den seitlich-rechten Bereich hinter ihrem Pkw nicht beobachtet hatte und gleichwohl deutlich schneller als Schrittgeschwindigkeit rückwärts gefahren war.
Frage der Haftung (hier 0 % im Ergebnis der Beweisaufnahme) des nachfolgenden Verkehrsteilnehmers …
Hingegen kann dem Kläger ein Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten als Anfahrendem aus § 10 S. 1 StVO oder auch nur ein Aufmerksamkeitsverschulden nach § 1 Abs. 2 StVO nicht entgegengehalten werden.
Nach § 10 StVO muss derjenige, der vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss er sich einweisen lassen. Dies betrifft grundsätzlich auch entgegenkommenden oder rückwärts fahrenden Verkehr (vgl. Senat, Urteil vom 15.05.2012, 1 U 127/11 m.w.N.)
Jedoch kann sich derjenige, der verbotswidrig eine Straße entgegen der einzig zugelassenen Fahrtrichtung benutzt, nicht auf eine Schutzwirkung zu seinen Gunsten durch § 10 StVO berufen (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 18. November 1991 – 9 U 46/91 –, juris; ebenso Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 10 StVO, Rn. 51). Wer verbotswidrig eine Einbahnstraße rückwärts in der Gegenrichtung befährt, kann nicht für sich den Vertrauensgrundsatz reklamieren (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 9 StVO Rn. 51 a.E.). Damit fällt die Beklagte zu 1., deren Verhalten sich die Beklagte zu 2. zurechnen lassen muss, nicht unter den Schutzbereich dieser Norm. Denn sie hat – wie bereits ausgeführt – die Einbahnstraße unter Verstoß gegen das Vorschriftszeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO entgegen der vorgeschriebenen Richtung befahren.
Die Beklagten konnten darüber hinaus auch keinen Verstoß des Klägers gegen § 1 Abs. 2 StVO nachweisen, weil dieser fahrend mit dem bereits erkennbar sich in Rückwärtsfahrt befindlichen Fahrzeug der Beklagten zu 1. kollidiert wäre.
Kann der Ein- oder Anfahrende angesichts der konkreten Straßen- und Verkehrsverhältnisse vor Ort nicht übersehen, ob er den fließenden Verkehr gefährdet, so darf er sich nur vorsichtig in die Fahrbahn hinein tasten, bis er die Übersicht hat. Vorsichtiges Hineintasten bedeutet allerdings – wie in § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO – nicht bloßes Langsamfahren, sondern zentimeterweises Vorrollen bis zum Übersichtspunkt mit der Möglichkeit, sofort anzuhalten (OLG München v. 31.03.2017 – 10 U 4716/16 – juris Rn. 7; vgl. insg. Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 10 StVO, Rn. 54.1). In der Anfahrsituation gilt somit auch unabhängig von § 10 StVO eine allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber allen Verkehrsteilnehmern, auch wenn sich diese selbst nicht verkehrsgerecht verhalten.
Nach eigenen Angaben ist der Kläger zunächst 30 – 40 cm angefahren und hat, als er die Beklagte zu 1. wahrgenommen hat, sofort angehalten. Hierdurch hätte er seinen oben genannten Pflichten Genüge getan, denn er ist aus einer Reihe parkender Autos herausgefahren und hat durch das Hineintasten in den Verkehr, den nachfolgenden Verkehr nicht behindert. Er konnte, da er grade angerollt war, nahezu ohne Anhalteweg anhalten.
Die Beklagten konnten hingegen ihren Vortrag nicht belegen, dass der Kläger trotz des Erkennens der Beklagten zu 1. weitergefahren wäre. Aus dem Gutachten des Sachverständigen A. ergibt sich, dass ein Stillstand des klägerischen Fahrzeugs zwanglos darstellbar ist (Bl. 131 d. A.). Eine äußerst geringe Eigengeschwindigkeit des Klägers von bis zu 2 km/h sei nicht auszuschließen (Bl. 132 d. A.). Da sowohl die Möglichkeit des Stillstands als auch die der geringen Eigengeschwindigkeit besteht, kann hieraus nicht der Nachweis der Weiterfahrt durch den Kläger zum Unfallzeitpunkt geführt werden. Auch die Beklagte zu 1. kann in ihrer informatorischen Anhörung keine Angaben zur Fahrt bzw. zum Stillstand des Taxis machen; denn sie hat dieses zunächst gar nicht wahrgenommen (Bl. 157R d. A.). Ob die Aussage der Zeugin T., welche ebenfalls den Stillstand des Fahrzeugs bekundete (Bl. 74 d. A.), glaubhaft ist oder nicht, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, da sie jedenfalls nicht dazu führen kann, dass den Beklagten der Nachweis einer Weiterfahrt des Klägers gelingt.
Dem Kläger ist auch nicht zur Last zu legen, dass er durch eine sofortige Rückwärtsfahrt zurück in die Parklücke den Unfall womöglich vermieden hätte, § 1 Abs. 2 StVO. Denn der Kläger durfte erwarten, dass die Beklagte zu 1. ihn wahrgenommen hatte und ihre Rückwärtsfahrt rechtzeitig beenden würde.
Fazit: Die Frage der Haftung ist auch in dieser Situation immer eine Entscheidung im Einzelfall und daher das Ergebnis der Beweisaufnahme zu den konkreten, feststehenden Umständen.
AG Dortmund, Urteil vom 10.07.2018, 425 C 2383/18
Allein weil es sich bei einer Taube um ein Kleintier handelt, kann nicht verlangt werden, das Tier zu überfahren.
Das Töten eines Wirbeltiers stellt nach §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit dar. Art. 20a GG ist bei der Anwendung der Vorschriften der StVO zu berücksichtigen.
Der Auffahrende hat allein für den Schaden aufzukommen.
anders aber (zum Beispiel)
Landgericht Duisburg, Urteil vom 30.06.2016 – 12 S 118/15
Mithaftung von 30% des wegen eines Vogels abbremsenden Kfz-Führers (wobei unerheblich ist, ob dieser sich auf der Straße oder auf dem Gehweg befunden hat).
Aus den Urteilsgründen des LG Duisburg:
In der Rechtsprechung werden bei Auffahrunfällen, bei denen auch dem Vorausfahrenden wegen Abbremsens ohne zwingenden Grund ein Verschuldensvorwurf gemacht wird, unterschiedliche Haftungsquoten – jeweils mit höherem Anteil des Auffahrenden – vertreten.
Auch in der Literatur wird i. d. R. eine Haftungsquote des Auffahrenden von (nur) 2/3 angenommen.
OLG Hamm, Beschluss vom 14.06.2018, 4 RBs 174/18
(eine Entscheidung aus einem Bußgeldverfahren, aber interessant wegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO)
Allein ein relatives Langsamfahren oder Verlangsamung der Fahrt des Vorausfahrenden ohne sonstige Ausfälle oder das Hinzutreten weiterer Umstände begründet noch keine unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO.
Aus den Gründen:
Eine unklare Verkehrslage ist dann gegeben, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf, etwa wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun werde, wenn er sich unklar verhält, in seiner Fahrweise unsicher erscheint oder wenn es den Anschein hat, er wolle abbiegen, ohne dass dies deutlich wird, z.B. bei einem linken Blinkzeichen des Vorausfahrenden ohne Linkseinordnen. Allein ein relatives Langsamfahren des Vorausfahrenden ohne sonstige Ausfälle ist nicht mit einer unklaren Situation im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO gleichzusetzen.
Eine das Überholen verbietende Verkehrslage entsteht nur dann, wenn Umstände hinzutreten, die für ein unmittelbar folgendes Linksabbiegen sprechen können, wie etwa eine Fahrtrichtungsanzeige. Allein die theoretische Möglichkeit eines verkehrswidrigen Linksabbiegens schafft noch keine unklare Verkehrslage, die ein Überholen unzulässig macht (OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.04.2017 – I-1 U 125/16 – juris). Das gilt auch dann, wenn sich der Überholbereich in einem Kreuzungs- oder Einmündungsbereich befindet und das vorausfahrende Fahrzeug in diesem Bereich langsamer fährt (KG Berlin, Urt. v. 09.09.2002 – 12 U 26/01 – juris m.w.N.; OLG Koblenz, Urt. v. 26.01.2004 – – 12 U 1439/02 – juris; OLG Nürnberg VersR 2003, 259 f.; König in: Hentschel/u.a., Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., StVO § 5 Rdn. 35 m.w.N.). Anders wäre dies nur zu bewerten, wenn Umstände vorliegen, die für ein unmittelbar folgendes Linksabbiegen sprechen können (König a.a.O.).
Hier hat das Amtsgericht lediglich eine Verlangsamung der Fahrt des vorausfahrenden Fahrzeugs kurz vor einem Kreuzungsbereich festgestellt. Es geht noch nicht einmal – weder in den Feststellungen noch in seiner rechtlichen Würdigung – davon aus, dass sich das vorausfahrende Fahrzeug zur Mitte hin eingeordnet hat (wie es der als Zeuge vernommene Fahrer dieses Fahrzeugs bekundet haben soll).
Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob neben der Verlangsamung der Fahrt in einem Kreuzungsbereich weitere Umstände vorgelegen haben, die für ein unmittelbar folgendes Linksabbiegen sprechen könnten. Dazu könnte eine deutliche Einordnung zur Fahrbahnmitte zählen (OLG Köln, Beschl. v. 15.04.1983- 3 Ss 115/83 Bz. – juris LS), noch nicht aber unbedingt, wenn sich das vorausfahrende Fahrzeug erst „etwas“ zur Fahrbahnmitte hin orientiert hat (OLG Koblenz a.a.O.). Auch die Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers kann hier relevant sein (König a.a.O.). Weiter werden die räumlichen Verhältnisse, insbesondere in welchem Abstand zu dem Einmündungsbereich die Verlangsamung der Fahrt und eine etwaige Einordnung zur Straßenmitte hin erfolgten, näher festzustellen sein.
KG Berlin, Beschluss vom 09.07.2018, 25 U 159/17
Auf allein dem Ausfahren aus einem Parkhaus dienenden, äußerlich vergleichbaren Fahrbahnen gilt grundsätzlich entsprechend § 8 Abs. 1 StVO “rechts vor links”.
Beim Verlassen des durch eine Schranke begrenzten Parkbereichs kommt eine Anwendung der besonderen Sorgfaltspflichten nach § 10 StVO in Betracht.
Die Regeln der Straßenverkehrsordnung sind auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen grundsätzlich zumindest entsprechend anwendbar (vgl. z.B. OLG Frankfurt ZfSch 2010, 19; OLG Düsseldorf NZV 2000, 263). Inwieweit die Vorfahrtregel des § 8 Abs. 1 StVO auf einem Parkplatz Anwendung findet, hängt davon ab, ob die Fahrspuren lediglich dem ruhenden Verkehr, d. h. dem Suchverkehr dienen, oder ob sie darüber hinaus Straßencharakter besitzen (vgl. z.B. KG – 12. ZS – NZV 2010, 461; 2003, 381; OLG Frankfurt ZfSch 2010, 19; OLG Düsseldorf NZV 2000, 263; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. § 8 StVO Rz. 31a m.w.N.). Für ein öffentlich zugängliches, wenn auch gebührenpflichtiges Parkhaus, in dem sich hier der Unfall ereignet hat, ist eine abweichende Beurteilung nicht gerechtfertigt.
Entgegen der von den Beklagten vertretenen Auffassung ist dem Kläger ein Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten des § 10 StVO nicht vorzuhalten. Bei der von ihm befahrenen Fahrspur handelt es sich nicht um einen “anderen Straßenteil” im Sinne von § 10 StVO. Die Abgrenzung einer im Sinne dieser Vorschrift untergeordneten Verkehrsfläche zu einer Straße im Sinne von § 8 StVO ist nach dem objektiven Erscheinungsbild vorzunehmen (vgl. BGH VersR 1977, 58; OLG Hamm RuS 1994, 52). Mit Recht hat das Landgericht in der äußeren Gestaltung der Fahrbahnen – Breite, Fahrbahnbelag, usw. – keinen Anhaltspunkt dafür gesehen, dass es sich bei der vom Kläger benutzten Fahrbahn um einen im Sinne von § 10 StVO untergeordneten Straßenteil handelt. Wenn beide Fahrbahnen vergleichbar gestaltet sind und es auch keine anderen für die Fahrzeugführer erkennbaren Anzeichen für die Unterordnung einer von ihnen gibt, kann nicht von einer untergeordneten Verkehrsfläche ausgegangen werden. Denn der Verkehrsteilnehmer ist auf klare einfache Anhaltspunkte angewiesen und muss in erster Linie auf sichtbare Merkmale zurückgreifen, um aus dem an Ort und Stelle erkennbaren Gesamtbild Schlüsse darauf ziehen zu können, welche Verkehrsregelung eingreift (BGH a.a.O.).
Eine Prägung der vom Kläger genutzten Fahrspur als untergeordnet ergibt sich auch nicht aus der auf ihr angebrachten Schranke, die sich erst nach Einführen eines Parktickets öffnet. Diese mag geeignet sein, den noch vornehmlich dem Parken bestimmten Bereich von dem zum (Aus-)Fahren bestimmten abzugrenzen. Beim Passieren einer solchen Schranke könnten demnach die besonderen Sorgfaltspflichten von § 10 StVO Anwendung finden, da der Parkbereich als entsprechend untergeordnet anzusehen ist (vgl. KG NZV 2010, 461; OLG Celle DAR 2000, 216; OLG Naumburg OLGR 2007, 394; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. § 10 StVO Rz. 6). Dies trifft aber auf den hier zu beurteilenden Einmündungsbereich nicht mehr zu. Wie sich aus den eingereichten Fotos ergibt, liegen zwischen der Schranke und der Einmündung mehrere Meter. Der Einmündungsbereich, in dem der Unfall sich ereignet hat, ist daher nicht mehr dem Verlassen des zum Parken bestimmten Bereichs zuzurechnen. Vielmehr fuhr der Kläger bereits vor der Einmündung auf einer Fahrbahn, die allein der Ausfahrt aus dem Parkhaus diente, und somit der von dem Beklagten zu 1 benutzten gleichrangig war.
OLG Frankfurt am Main — Urteil vom 18.11.2004, 26 U 53/04
Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall: Glatteisunfall im Folgeverkehr
Verliert ein Kraftfahrer auf glatter Straße die Herrschaft über sein Fahrzeug, so dass dieses dort ein Verkehrshindernis bildet, handelt es sich um einen so typischen Geschehensablauf, dass der zwingende Schluss auf ein vorangegangenes schuldhaftes Handeln gerechtfertigt ist. Denn in dieser Situation liegt es nahe, dass der Kraftfahrer entweder nicht mit der den Straßen- und Witterungsverhältnissen angepassten Geschwindigkeit gefahren sein kann oder aber aus Unachtsamkeit ein Fahrmanöver durchführt, das den Witterungsverhältnissen nicht ausreichend Rechnung getragen hat (vgl. OLG Hamm, VersR 1978, 950; OLG Karlsruhe, VersR 1975, 865). Diesen Anscheinsbeweis muss der Kraftfahrer aber widerlegen und seinerseits erschüttern.
Gegen den dann auffahrenden Verkehrsteilnehmer kann ebenfalls der Beweis des ersten Anscheins sprechen; entweder hat dieser einen zu geringen Sicherheitsabstand eingehalten oder er war zu schnell, so dass er nicht mehr rechtzeitig auf den erkennbaren Schleudervorgang des vorausfahrenden Fahrzeuges reagieren konnte (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 StVO). Die Besonderheit des Unfallgeschehens besteht hier darin, dass die Fahrbahn in dem fraglichen Bereich erkennbar glatt und zudem abschüssig war. Auf diese schwierigen und gefährlichen Straßenverhältnisse hat sich der nachfolgende Verkehrsteilnehmer offensichtlich nicht ausreichend eingestellt. Es ist eine jedem Autofahrer geläufige Erfahrung, dass bei glatter Fahrbahn schon ein geringer Lenkeinschlag und jede Bremsverzögerung zur Folge haben können, dass das Fahrzeug außer Kontrolle gerät. Bei solchen Fahrbahnverhältnissen ist die Vorhersage, bei welchem Radeinschlag oder bei welcher Bremsintensität das Fahrzeug der Lenkung nicht mehr gehorcht und die Räder blockieren, besonders schwierig.
Mit zunehmender Schwierigkeit, das Fahrzeug zu beherrschen, nehmen die Fahrfehler unverhältnismäßig zu. Wer unter solchen Bedingungen ein Fahrzeug führt, hat nicht nur zu bedenken, wie er selbst die von der spiegelglatten Fahrbahn ausgehenden Gefahren meistert, sondern auch in Betracht zu ziehen, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer mit den selben Problemen zu kämpfen haben, wie er selbst. Daher hat er sich auch auf die nahe liegende Möglichkeit einzustellen, dass ein vorausfahrender Kraftfahrer durch einen geringen Fahrfehler die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert; außerordentliche Umstände erfordern außerordentliche Vorsicht (vgl. insoweit OLG Nürnberg, NZV 1993, 149 [OLG Nürnberg 29.05.1992 – 8 U 494/92]). Eine diesen Witterungsverhältnissen angepasste Fahrweise erfordert es deshalb, dass der Fahrzeugführer stets gefahrlos lenken und rechtzeitig anhalten können muss. Das erfordert notfalls die Einhaltung bloßer Schrittgeschwindigkeit (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1993, 158 [OLG Düsseldorf 08.12.1992 – 5 Ss 317/92 – 100/92 I] f).
Ergebnis: Folgeverkehr haftet zu 1/3 mit.
OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018, 7 U 44/17
Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge tritt die einfache Betriebsgefahr eines PKW hinter einem für den Unfall ursächlichen Vorfahrtsverstoß des verunfallten Fahrradfahrers vollständig zurück.
BGH, Urteil vom 06.12.2018, VII ZR 285/17
Nutzungsausfallentschädigung für gewerblich genutztes Fahrzeug?
Leitsätze:
Lassen sich bei dem vorübergehenden Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines ausschließlich gewerblich genutzten Fahrzeugs die materiellen Auswirkungen des Ausfalls des Fahrzeugs quantifizieren, kann eine (abstrakte) Nutzungsausfallentschädigung nicht verlangt werden. Das gilt unabhängig davon, ob das ausgefallene Fahrzeug unmittelbar der Gewinnerzielung dient, weil der Ertrag allein mit Transportleistungen erzielt wird, oder nur mittelbar, nämlich zur Unterstützung einer anderen gewerblichen Tätigkeit eingesetzt wird.
Der Betriebsbereitschaft eines ausschließlich gewerblich genutzten Fahrzeugs, also seiner ständigen Verfügbarkeit und Einsatzfähigkeit, kommt kein eigenständiger Vermögenswert zu, weshalb der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit als solcher kein Schaden ist. Der Geschädigte kann für die Gebrauchsentbehrung – unabhängig vom Eintritt eines Erwerbsschadens oder darüber hinaus – keine (abstrakte oder an den Vorhaltekosten orientierte) Nutzungsausfallentschädigung verlangen.
Die Rechtsprechung, wonach die infolge eines zum Schadensersatz verpflichtenden Ereignisses entfallende Möglichkeit des Geschädigten, private, eigenwirtschaftlich genutzte Sachen oder Güter plangemäß verwenden oder nutzen zu können, einen ersatzfähigen Vermögensschaden darstellen kann, ohne dass hierdurch zusätzliche Kosten entstanden oder Einnahmen entgangen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 1986 – GSZ 1/86 , BGHZ 98, 212 ), ist auf die Nutzung von Sachen oder Gütern, die ausschließlich erwerbswirtschaftlich genutzt werden, nicht übertragbar.
Aus den Gründen (die Auflösung sozusagen):
den Mietkosten eines Ersatzfahrzeugs,
den Vorhaltekosten eines Reservefahrzeugs
oder dem entgangenen Gewinn.
OLG Frankfurt, Urteil vom 06.02.2018 – 22 W 2/18
Der Geschädigte kann nach Vorlage des Anspruchsschreibens erwarten, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung kurzfristig mitteilt, ob, inwieweit und wie lange eine Prüfung stattfindet.
Die Dauer der Prüffrist ist von der Lage des Einzelfalls abhängig, beträgt in der Regel aber maximal vier Wochen.
Und übrigens:
Die ggf. vom Versicherer als erforderlich angesehene Einsicht in die Ermittlungsakte hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Dauer dieser Prüffrist (und den Eintritt des Verzugs), weil sonst berechtigte Interessen des Geschädigten an einer zügigen Regulierung des Schadens ohne triftigen Grund unberücksichtigt blieben.
Verlängert sich der für die Reparatur eines Unfallfahrzeugs erforderliche Zeitraum, weil die vom Geschädigten beauftragte Werkstatt ohne Verschulden des Geschädigten unwirtschaftlich oder unsachgemäß vorgeht, so hat der Schädiger auch eine dadurch verursachte Erhöhung der erforderlichen Mietwagenkosten zu tragen. Ihn trifft das Prognoserisiko.
Beauftragt der Geschädigte einen Kfz-Sachverständigen mit der Begutachtung des beschädigten Fahrzeugs, so trifft ihn die Obliegenheit, diesen auch auf etwaige Vorschäden hinzuweisen bzw. zu einer genauen Prüfung anzuhalten. Verletzt er diese Obliegenheit zumindest fahrlässig und ist das erstellte Gutachten deshalb nicht tauglich, so sind die dafür angefallenen Kosten nicht ersatzfähig.
OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2018, 7 U 35/18
Vorfahrt, Vorfahrtsverzicht, halbe Vorfahrt
1. Von einem Vorfahrtsverzicht ist nur auszugehen, wenn der Berechtigte den Verzichtswillen in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringt.
2. Allein aus dem Umstand, dass der Berechtigte an der Kreuzung abgestoppt hat, lässt sich kein Vorfahrtsverzicht ableiten, zumindest wenn dies auf dem Umstand beruht, dass der Berechtigte seinerseits anderen Verkehrsteilnehmern Vorfahrt gewähren müsste.
3. Eine Mithaftung unter dem Gesichtspunkt “halbe Vorfahrt” kommt nur in Betracht, wenn der Zusammenstoß durch eine zu hohe Geschwindigkeit des Vorfahrtsberechtigten mitverursacht worden ist.
OLG Celle, Urteil vom 22.5.2019 – 14 U 153/18
Überholspurwechsel, “halber” Spurwechsel, Ausweichmanöver, Gefährdungsausschluss, keine Unabwendbarkeit, Richtgeschwindigkeit, Idealfahrer
Überschreitet ein Unfallbeteiligter die Autobahn-Richtgeschwindigkeit, versagt daher die ganz überwiegende Ansicht einem Kraftfahrer die Berufung auf Unabwendbarkeit [Rebler, Mithaftung bei Unfällen wegen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit, SVR 2017, 408; Gutt, jurisPR-VerkR 11/2018 Anm. 3 – je m.w.N.], weil nur derjenige, der die Richtgeschwindigkeit einhält, sich wie ein Idealfahrer verhält [BGH a.a.O.; dazu auch Gebhardt, DAR 1992, 295]. Bei einer maßvollen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit bis zu etwa 20 km/h soll diese zwar mangels erhöhter Gefahr nicht unbedingt eine Mithaftung begründen [7 U 39/17, , Beschl. v. 06.02.2018 – NJW-RR 2018, 474; 10 U 4976/06; Gutt a.a.O.]. Entscheidend kommt es darauf an, dass sich die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit tatsächlich ausgewirkt hat, also ursächlich für den Verkehrsunfall gewesen sein muss. , Urt. v. 02.02.2007 –
Der Senat erachtet eine Haftungsquote von 80 % zu 20 % zulasten der Beklagten für angemessen. Der Kläger haftet nur aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr, während den Beklagten zu 1) ein Verschulden aus § 7 Abs. 5 StVO trifft. Der Beklagte zu 1) hatte den höchsten Sorgfaltsmaßstab, den die StVO kennt, einzuhalten. Allerdings hat er den Kläger im Blick gehabt und versucht, mit dem „halben“ Spurwechsel eine Lücke für ihn zu lassen. Da nicht auszuschließen ist, dass ein Idealfahrer diese Lücke besser hätte nutzen können, als der Kläger, sprich ohne Kollision mit der Mittelleitplanke weiterzufahren, erscheint es dem Senat geboten, die Betriebsgefahr für das klägerische Fahrzeug nicht vollends hinter dem Verschulden des Beklagten zu 1) zurücktreten zu lassen. Für eine Erhöhung der Betriebsgefahr infolge der hohen Geschwindigkeit des Klägers und seines möglicherweise zu geringen Abbremsens besteht kein Anlass, weil nach den Angaben des Klägers und des Zeugen Schmidt in Verbindung mit den allgemeinen Beweisregeln zu Gunsten des Klägers von einer Geschwindigkeit von 140 km/h ausgegangen werden muss. Das stellt nur eine moderate Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h dar. Es ist nicht sicher feststellbar, dass der Kläger bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit und mit einem stärkeren Bremsen die Kollision mit der Leitplanke hätte vermeiden können.
LG Frankfurt, Urteil vom 25.04.2019, 2-01 S 283/18
Nutzungsausfall auch für Wohnmobile – “es kommt darauf an”
Wird ein Wohnmobil auch für den alltäglichen Gebrauch genutzt, ist im Fall seiner Beschädigung Nutzungsausfallentschädigung dafür zu leisten.
Bei der Bemessung des Nutzungsausfalls ist der Einzelfall zu betrachten und es sind die Eigenschaften des Wohnmobils (Ausstattung, Motorisierung u.a.) zu beachten.
Das LG Frankfurt kommt hier im Ergebnis dann zu einer Nutzungsausfallpauschale von 75 EUR / Tag.
Aus den Gründen:
Vorliegend ist zu beachten, dass das klägerische Wohnmobil zum Zeitpunkt des Unfalls erst gut anderthalb Jahre alt war und einen erheblichen Wiederbeschaffungswert von 50.000 € hatte. Als neuwertiges Fahrzeug hatte es daher Komfortmerkmale, die ein altes Wohnmobil nicht aufweisen kann, sei es in Bezug auf die Funktionsfähigkeit von Heizung, Lüftung, Musikanlage, Türen und Fenstern, Motorisierung, Neuwertigkeit der Innenausstattung etc. Unabhängig von den für den Gebrauch im städtischen Straßenverkehr wenig komfortablen Abmessungen hatte das im Jahr 2015 erstmals zugelassene Fahrzeug des Klägers zum Unfallzeitpunkt daher Komfortmerkmale, die mit der niedrigsten Eingruppierung nach Sanden/Danner/Küppersbusch nicht angemessen abgebildet werden können.
Der Kammer erscheint es daher angemessen, den Nutzungsausfall mit dem eines großen SUV oder Vans gleichzusetzen. Der Vergleich mit einem VW Multivan, der mit über 5 Metern Länge, knapp 2 Metern Höhe und Breite im innerörtlichen Straßenverkehr für alltägliche Verrichtung ebenfalls eingeschränkt handlich ist, ist berechtigt. Die Einordnung in die Gruppe J erscheint daher im vorliegenden Fall angemessen.
LG Saarbrücken, Urteil vom 02.11.2018 – 13 S 104/18
Auffahrunfall auf einen Fahrschulwagen – typische Anfängerfehler – Anscheinsbeweis – Betriebsgefahr
Jeder Verkehrsteilnehmer, der einem deutlich als solchen gekennzeichneten Fahrschulfahrzeug folgt, muss mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen, auch ohne dass sie durch eine vor dem Fahrschulfahrzeug bestehende Verkehrssituation hervorgerufen werden, rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen (AG München, Urteil vom 14.06.2005 – 322 C 36909/04; AG Hannover, Urteil vom 05.07.2013 – 417 C 3415/13, AG München, Urteil vom 23.09.1971 – 10 C 2090/70). Denn das grundlose Abbremsen oder auch „Abwürgen“ des Motors gehört zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers. Dementsprechend kann der Umstand, dass der Fahrschulwagen nach den Feststellungen des Erstgerichts vorliegend ohne zwingenden Grund abgebremst wurde, nicht zu einer Erschütterung des Anscheinsbeweises herangezogen werden, weshalb es auf Klägerseite (*gemeint ist der Auffahrende*) bei dem festgestellten Sorgfaltsverstoß gegen § 4 Abs. 1 S.1 StVO verbleibt.
Eine Reaktion des voranfahrenden Fahrschulwagens auf die sich der Fahrbahn nähernde Person war daher nicht völlig fernliegend und hätte bei der Wahl des Sicherheitsabstands einkalkuliert werden müssen.
Fallkonstellation führt – hier in diesem Falle – zur Haftung Auffahrender 70 % und immer noch beim “Fahrschüler” 30 % aus folgenden Gründen:
Andererseits wurde der Fahrschulwagen vorliegend beim Verlassen des Kreisverkehrs und damit an einer Stelle bis zum Stillstand abgebremst, die dem nachfolgenden Verkehr räumlich wenig Reaktionsmöglichkeiten lässt, ggfs. zu einem Anhalten innerhalb des Kreisels zwingt und damit besonders gefährlich ist. Aus diesem Grund tritt die Betriebsgefahr des Fahrschulfahrzeugs hier nicht zurück. Die Kammer hält vielmehr eine Haftungsverteilung von 70 % zu Lasten der Klägerin und 30 % zu Lasten der Beklagten für gerechtfertigt.
LG Saarbrücken, Urteil vom 07.06.2019 – 13 S 50/19
Netto-Reparaturkosten plus Umsatzsteuer für nachgewiesenen Kauf (mit Rechnungsbeleg) von Ersatzteilen – laut LG Saarbrücken ist dies keine unzulässige Vermischung von fiktiver und konkreter Abrechnung
Der Geltendmachung fiktiver Reparaturkosten steht nicht entgegen, dass die Geschädigte eine Eigenreparatur des unfallbeschädigten Fahrzeugs vorgenommen hat.
Hat die Geschädigte bei dem Kauf von Ersatzteilen im Rahmen der Eigenreparatur Umsatzsteuer aufgewendet, kann sie diese grundsätzlich neben den durch ein Sachverständigengutachten ermittelten Netto-Reparaturkosten als Kosten der Schadensbeseitigung ersetzt verlangen.
AG Halle (Saale), Urteil vom 12.06.2019, 102 C 311/19
Gutachten auch dann, wenn ein Kostenvoranschlag bei der Versicherung vorlag und sogar die RKÜ schon das ist !
Das Amtsgericht Halle (Saale) macht klar:
Die Erforderlichkeit (eines Gutachtens) ist nicht deshalb zu verneinen, weil zum Zeitpunkt der Einholung des Sachverständigengutachtens bereits
ein Kostenvoranschlag vorlag sowie
eine Reparaturkostenübernahme
durch die Beklagte (*Versicherung*) erklärt wurde.
Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB ist nicht gegeben.
Der Geschädigte durfte auf das zu Beweissicherungszwecken qualitativ höherwertige Mittel (im Gegensatz zum Kostenvoranschlag) des Sachverständigengutachtens zurückgreifen.
Die Beweissicherung ist nämlich gerade Zweck eines solchen Gutachtens, wohingegen ein Kostenvoranschlag vielmehr eine bloße Kostenkalkulation … darstellt. Aus diesem Grund enthält eine Sachverständigengutachten nicht nur die an einem Fahrzeug vorzunehmenden Reparaturen und dafür veranschlagten Reparaturkosten, sondern auch Angaben zu Altschäden und zur Reparaturdauer. Des Weiteren nimmt das Gutachten Stellung zu einer eventuellen merkantilen Wertminderung … Dass eine solche Wertminderung vorliegend nicht gegeben ist, konnte der Geschädigte zum Zeitpunkt der Eignung des Gutachtens nicht wissen. Auch enthält das Gutachten Angaben … (usw.).
OLG Hamm, Beschluss vom 26.10.2018, 7 U 56/18
Lückenfallrechtsprechung, Einfahren von einem Grundstück
Jedenfalls soweit es sich um gut sichtbare Grundstücksausfahrten handelt, bei denen mit erhöhtem An- und Abfahrtsverkehr zu rechnen ist, spricht viel dafür, die – für die Sorgfaltsanforderungen bei der Vorbeifahrt an Fahrzeugkolonnen entwickelte – sog. Lückenfallrechtsprechung anzuwenden.
Die Vorbeifahrt an einer Fahrzeugkolonne im Bereich einer derartigen Ausfahrt mit mindestens 35 km/h ist erheblich zu schnell.
Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge zwischen dem Geschwindigkeitsverstoß des an der Kolonne Vorbeifahrenden und dem Verstoß des durch die gelassene Lücke Einfahrenden, der sich entgegen § 10 StVO nicht hinreichend nach links vergewissert hat, ob sich von dort bevorrechtigte Verkehrsteilnehmer näherten und sich zu dem auch nicht vorsichtig in die gegenüberliegende Fahrspur hineingetastet hat, wiegt der Verstoß gegen die Kardinalpflicht des § 10 StVO schwerer.
Ergebnis: OLG Hamm sieht in diesem Hinweisbeschluss eine Haftung des „Vorbeifahrenden“ von maximal 40 %.
OLG Frankfurt, Urteil vom 26.09.2018, 3 U 43/17
Auch bei sog. “Kurzkennzeichen” ist der Versicherer gegenüber Dritten ebenfalls der Nachhaftung nach § 117 VVG (1 Monat) unterworfen.
Aus den Gründen:
Soweit die Beklagte weiter geltend macht, es sei unangemessen, für eine nur auf 5 Tage abgeschlossene Versicherung dem Versicherer eine Nachhaftung von 1 Monat aufzubürden und dies finanziell nicht tragbar sei, lässt sie unberücksichtigt, dass es dem Versicherer obliegt, bei den Tarifen für die Kurzkennzeichen die Nachhaftung mit einzukalkulieren.
AG Germersheim, Urteil vom 04.09.2019, 2 C 395/18
1,5er Geschäftsgebühr nach RVG bei – überdurchschnittlicher – Anwaltstätigkeit
Eine überdurchschnittliche Anwaltstätigkeit kann insbesondere dann vorliegen, wenn der Haftpflichtversicherer des Schädigers in einer Verkehrsunfallsache die vom Sachverständigen ermittelten Werte ungerechtfertigt kürzt und daraufhin Rückfragen bei dem Sachverständigen und weitere Korrespondenz erforderlich wird (Mayer/Kroß, RVG, Anhang I Streitwertkommentierung IX. Streitwerte im Verkehrsrecht Rn. 64 beck-online; AG Köln, Urteil vom 08.06.2005, 147 C 86/05).
OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.05.2019, 1 U 115/18
Nutzungsausfall = Reparaturdauer / Wiederbeschaffungsdauer + Schadenerforschungszeitraum + Überlegungszeit + Haftungsfreigabe
Der Anspruch ist auch trotz fiktiver Abrechnung des Sachschadens nicht auf die im Schadensgutachten ausgewiesene Wiederbeschaffungsdauer von 12 – 14 Kalendertagen beschränkt. Zwar kann der Geschädigte in diesem Falle für die Wiederbeschaffung selbst keinen längeren Zeitraum als gutachterlich ausgewiesen in Rechnung stellen. Weil der Anspruch aber kein fiktiver ist, sondern dem Ausgleich eines tatsächlich entstandenen fühlbaren Nutzungsausfalls dient (BGH v. 10.06.2008 – VI ZR 248/07, juris Rdn. 7), ist es dem Geschädigten – im Rahmen der Erforderlichkeit einerseits und der Verhältnismäßigkeit andererseits (BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 62/07, juris Rdn. 6) – auch bei fiktiver Abrechnung des Sachschadens unbenommen, dem Schädiger daneben
alle Zeiträume in Rechnung zu stellen, die der eigentlichen Wiederbeschaffung bzw. Reparatur vorausgehen und binnen derer er unfallbedingt auf sein Fahrzeug verzichten musste.
Regelmäßig ist ihm daher neben der kalkulierten Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer eine Nutzungsausfallsentschädigung auch für den Zeitraum zu gewähren, der bis zur Vorlage des Gutachtens vergangen ist. Ebenso hat er danach noch Anspruch auf Ausgleich eines eingetretenen Nutzungsausfalls für die Dauer einer angemessenen Überlegungsfrist.
Seine finanzielle Leistungsfähigkeit ist dagegen der eigentlichen Schadensbeseitigung und damit auch dem Gegenstand der gutachterlichen Schätzung vorgelagert. Der Geschädigte kann den Reparaturauftrag erst erteilen, wenn er in der Lage ist, die Reparaturkosten zu begleichen. Ebenso kann er vernünftigerweise erst bestellen und kaufen, wenn er die Mittel dazu hat. Kann der Geschädigte also glaubhaft machen, dass er die Schadensregulierung aus finanziellen Gründen nicht betreiben konnte und aus diesem Grund auch in dieser Zeit auf ein Fahrzeug verzichten musste, so steht ihm auch für diesen Zeitraum ein Anspruch auf Nutzungsausfallsentschädigung zu.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.01.2019 – 1 U 25/18
Deklaratorisches Schuldanerkenntnis / Kfz-Haftpflichtversicherung
Erklärt ein Kfz-Haftpflichtversicherer, er erkenne die Haftung seines Versicherungsnehmers für einen Verkehrsunfall dem Grunde nach an, so liegt darin aufgrund des eindeutigen Wortlauts auch dann ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, wenn es in der Erklärung weiter heißt, die Regulierung erfolge ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.
BGH, Urteil vom 29.10.2019, VI ZR 45/19
Unfallschaden besser mit ANWALT klären,
meint selbst nun der BGH in einer ganz frischen Entscheidung
und schreibt:
Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt, wird inzwischen von der wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung der unteren Instanzgerichte geteilt.
Dabei wird zu Recht darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge – wie auch vorliegend – bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird.
Und dann sagt der BGH auch gleich noch etwas, warum auch der im Umgang mit Unfallschäden versierte Geschädigte, also z.B. ein Autohaus bei einem eigenen Schaden, genau handeln darf:
Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und – ggf. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens – die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus.
Der BGH hatte es gar mit einem großen Mietwagenunternehmen zu tun und sagt weiter:
Dann aber durfte nach den oben dargelegten Grundsätzen auch die Klägerin als großes Mietwagenunternehmen ungeachtet ihrer Geschäftsgewandtheit die Einschaltung eines Rechtsanwalts bereits für die erstmalige Geltendmachung ihres Schadensersatzanspruchs für erforderlich halten. Sie musste insbesondere mit der Beauftragung nicht erst einmal abwarten, wie der Haftpflichtversicherer auf die Geltendmachung des Anspruchs reagiert.
OLG München, Urteil vom 25.10.2019, 10 U 3171/18
Mitverschuldensquote des nicht angeschnallten Geschädigten bei einem Verkehrsunfall (hier 30 Prozent)
Aus Gründen praktischer Handhabung ist es geboten, bei verschiedener Auswirkung des Nichtangurtens auf einzelne Verletzungen unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der von den Verletzungen ausgehenden Folgeschäden, deren vermögensrechtliches Gewicht je nach der Verletzung verschieden sein kann, eine einheitliche Mitschuldquote zu bilden (ebenso BGH BeckRS 2012, 9749).
Da bei einer angegurteten normalen Sitzposition das Risiko, schwere Knieverletzungen zu erleiden, deutlich geringer als bei einem nicht angegurteten Insassen ausfällt, ist – wenn der geschädigte Pkw-Fahrer nicht angeschnallt war und sich im wesentlichen langwierige Knieverletzungen zugezogen hat – eine Mitverschuldensquote von 30% angemessen.
Hat der Geschädigte auf seinen erlittenen Haushaltsführungs- und Verdienstausfallschaden Zahlungen Dritter erhalten, sind bei der Ermittlung eines gegenüber dem Schädiger ersatzfähigen Erwerbsschadens zuerst der Mitverschuldensanteil des Geschädigten und nachfolgend die erhaltenen Zahlungen in Abzug zu bringen.
Eine „tagesgenaue“ Bemessung von Schmerzensgeld ist nicht vorzunehmen (entgegen OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2018, 27125).