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1. Vorfahrtberechtigter blinkt irrtümlich – fährt dann aber weiter – Unfall mit Wartepflichtigen
Hier ist dann in der Konsequenz – je nach Einzelfall – vieles möglich.
OLG München, Urteil vom 15.09.2017, 10 U 4380/16
Vorfahrtsrecht (§ 8 Abs. 1 StVO) und Wartepflicht (§ 8 Abs. 2 StVO) entfallen grundsätzlich auch dann nicht, wenn der Vorfahrtsberechtigte durch missverständliches oder irreführendes Fahrverhalten (hier:Blinken nach rechts und niedrige Geschwindigkeit) einen Vertrauenstatbestand dahingehend schafft, die Fahrwege beider Fahrzeuge werden sich nicht kreuzen (Fortführung OLG München BeckRS 2013, 16306).
Kommt es zu einer Kollision zweier Fahrzeuge an einer Kreuzung,weil der Vorfahrtsberechtigte nach rechts blinkt und mit niedriger Geschwindigkeit(hier: 30 km/h) fährt und der von rechts kommende Wartepflichtige in der irrtümlichen Annahme, der Vorfahrtsberechtigte werde nach rechts abbiegen, losfährt, obwohl beim Losfahren angesichts der Geschwindigkeit und des Abstands des Vorfahrtsberechtigten zumindest objektiv nicht mehr mit einem Abbiegen des Vorfahrtsberechtigten gerechnet werden durfte, so kommt eine
Haftungsverteilung von 75:25 zu Lasten des Wartepflichtigen in Betracht.
OLG Hamm, Urteil vom 11.03.2003, 9 U 169/02
Der Senat hält daran fest, dass der wartepflichtige Fahrzeugführer der Ankündigung einer angezeigten Fahrtrichtungsänderung des Vorfahrtsberechtigen erst und nur dann vertrauen darf, wenn der Vorfahrtsberechtigte auch durch eindeutige Geschwindigkeitsherabsetzung und Beginn des Abbiegens die verlässliche Annahme begründet, dass eine Berührung der beiderseitigen Fahrlinien nicht in Betracht kommt, wenn der Wartepflichtige die ursprüngliche und nunmehr hypothetische Fahrlinie des Vorfahrtberechtigten kreuzt.
Bei fehlendem berechtigten Vertrauen des Wartepflichtigen ist eine Haftungsverteilung von ⅔ : ⅓ zu seinen Lasten (des Wartepflichtigen) vorzunehmen.
Quelle: NZV 2003, 414
OLG Dresden, Beschluss vom 10.02.2020, 4 U 1354/19
Der Wartepflichtige darf nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt.
Haftungsverteilung von ⅔ : ⅓ zu Lasten des Wartepflichtigen
Quelle: BeckRS 2019, 39713, beck-online
OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.11.2020, 9 U 44/19
Wenn – außer der Vorfahrtsverletzung einerseits und dem fehlerhaft gesetzten Blinker andererseits – keine sonstigen wesentlichen Verursachungsbeiträge der Beteiligten zu berücksichtigen sind, kommt eine
Haftungsquote von 70 % zu 30 % zu Gunsten des Vorfahrtsberechtigten
in Betracht.
KG Berlin, Urteil vom 25.09.1989, 12 U 4646/88
Der wartepflichtige Kraftfahrer darf im allgemeinen darauf vertrauen, daß der sich einer Einmündung oder einer Kreuzung nähernde vorfahrtsberechtigte Kraftfahrer, der den rechten Fahrtrichtungsanzeiger seines Fahrzeugs gesetzt hat, nach rechts in die nächste Querstraße abbiegen wird, wenn sich diese Absicht in seiner Fahrweise äußert.
Kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen einem auf der Vorfahrtsstraße befindlichen Kfz, das entgegen der Ankündigung seines Fahrers und dessen Fahrweise nicht nach rechts abbiegt, und dem im berechtigten Vertrauen auf die angekündigte Fahrtrichtungsänderung in die Vorfahrtsstraße einbiegenden wartepflichtigen Kfz,
so kann der Vorfahrtsberechtigte zum vollen Schadensersatz verpflichtet sein.
Quelle: LSK 1990, 240057, beck-online
OLG Koblenz, Beschluss vom 01.09.2020, 12 U 332/20
Konstellation = der Abbiegewillige blinkt vor einer Kreuzung, will aber erst 40 Meter nach der Kreuzung auf ein Betriebsgelände abbiegen
Nähert sich ein Fahrzeugführer auf der vorfahrtsberechtigten Straße mit gesetztem rechten Blinker und geringer Geschwindigkeit (ca. 23 km/h an Stelle erlaubter 70 km/h) einer Kreuzung, weil er 40 – 50 Meter hinter der Kreuzung in ein Betriebsgelände einbiegen möchte, und kommt es im Kreuzungsbereich zur Kollision mit einem aus der untergeordneten Straße von rechts herausbiegenden Fahrzeug, dessen Fahrzeugführer angenommen hatte, das sich auf der Vorfahrtsstraße nähernde Fahrzeug wolle an der Kreuzung abbiegen,
sind die Unfallverursachungsbeiträge beider Fahrzeugführer jeweils mit 50% zu bemessen.
Quelle: Beck Verlag . beck-online . BeckRS 2020, 26199
2. Passieren an einer Engstelle – wenn es verdammt eng wird
OLG Schleswig, Beschluss vom 24.4.2020, 7 U 225/19
Wenn eine Engstelle vorliegt, die das gleichzeitige Passieren entgegenkommender Fahrzeuge unmöglich macht, muss eine Verständigung der beteiligten Fahrzeugführer darüber stattfinden, wer die Fahrt fortsetzen soll.
Der Regelungsgehalt des durch das Zeichen 208 angeordneten Vorrangs des gegnerischen Verkehrs erschöpft sich nicht nur auf den Zeitpunkt des Passierens des Schildes sondern gilt auch für den weiteren (noch nicht übersehbaren) Streckenverlauf der Engstelle. Der Wartepflichtige muss ggf. auch durch Anpassung seiner Geschwindigkeit dem vorrangigen Gegenverkehr Rechnung tragen.
3. Kollision eines einbiegenden Kraftfahrers mit einem auf der Vorfahrtstraße rückwärts fahrenden Müllfahrzeug
LG Saarbrücken, Urteil vom 07.10.2016, 13 S 35/16
Kommt es zu einem Verkehrsunfall zwischen einem wartepflichtigen in eine Vorfahrtsstraße einfahrenden Kraftfahrer und einem rückwärts fahrenden Müllfahrzeug, so ist zum einen die Vorfahrtsverletzung des abbiegenden Kraftfahrers als Verstoß gem. § 8 StVO, zum anderen die gem. § 9 Abs. 5 StVO bestehende besondere Sorgfaltspflicht des Rückwärtsfahrenden zu berücksichtigen.
Eine hälftige Haftungsverteilung wird dem unterschiedlichen Gewicht der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nicht gerecht.
Ob einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 StVG grundsätzlich ein höheres Gewicht zukommt als einem Verstoß gegen § 8 StVO bedarf keiner abschließenden Entscheidung, wenn (wie hier) die Betriebsgefahr des Müllfahrzeugs aufgrund seiner Größe, seiner Beschaffenheit und der eingeschränkten Beweglichkeit deutlich erhöht war und der Fahrer zudem gegen die Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat, nach denen er sich beim Rückwärtsfahren zwingend eines Einweisers hätte bedienen müssen.
Eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Fahrers des Müllfahrzeugs erscheint daher angemessen.
4. “Rechts vor links” gilt nicht bei Ausfahrt aus einem verkehrsberuhigten Bereich (“Spielstraße”)
BGH, Urteil vom 20. November 2007 – VI ZR 8/07
Die besonderen Pflichten des § 10 Satz 1 StVO gelten für den Fahrer, der einen verkehrsberuhigten Bereich verlässt, auch dann, wenn das Zeichen 326 (Ende) nicht unmittelbar im Bereich der Einmündung oder Kreuzung, sondern einige Meter davor aufgestellt ist. Entscheidend ist, ob das Einfahren in eine andere Straße bei objektiver Betrachtung noch als Verlassen des verkehrsberuhigten Bereichs im Sinne des § 10 StVO erscheint. Dies ist in der Regel zu bejahen, wenn das Zeichen 326 nicht mehr als 30 m vor der Einmündung oder Kreuzung aufgestellt ist und keine konkreten Anhaltspunkte eine abweichende Beurteilung rechtfertigen.
Aus den Gründen (zu den einzelnen Optionen):
Ist das Zeichen 326 mehr als 30 m vor der nächsten Einmündung oder Kreuzung aufgestellt, enden die Verpflichtungen aus § 10 StVO in der Re-gel am Aufstellungsort des Zeichens. Dies kann der Fall sein, wenn der verkehrsberuhigte Bereich nur für einen bestimmten Straßenabschnitt angeordnet ist oder sich die nächste Kreuzung oder Einmündung aus anderen Gründen mehr als 30 m hinter dem Aufstellungsort des Zeichens 326 befindet.
…
Auch aus den örtlichen Umständen kann sich ergeben, dass die Ver-haltensanforderungen des § 10 StVO im Bereich der nächsten Einmündung oder Kreuzung nicht gelten. Auch wenn das Zeichen 326 im 30-m-Bereich auf-gestellt ist, kann sich aus dem Ausbau oder der Gestaltung des nachfolgenden Straßenabschnitts ergeben, dass der Kraftfahrer bereits unmittelbar nach dem Passieren des Schildes wieder in den laufenden Verkehr integriert wird. Dann jedoch ist für eine Anwendung des § 10 StVO kein Raum.
Fazit: Im Ergebnis entscheidet sich die Haftung und Haftungsverteilung am Einzelfall.
5. Auffahrunfall auf “Abwürger” (beim Anfahren an einer Lichtzeichenanlage)
LG Berlin, Urteil vom 31.03.2009, 42 O 41/09
Dabei kann dahinstehen, ob der Unfall für die Klägerin ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gewesen ist, so dass ihre Haftungsbeteiligung von vornherein ausgeschlossen ist. Auch nach der dann erforderlichen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile kommt eine Mithaftung der Klägerin für ihre unfallbedingten Schäden nicht in Betracht. Liegt kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG vor, hängt nach § 17 Abs. 1 StVG die Verpflichtung zum Schadensersatz wie auch der Umfang der Ersatzpflicht von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr sind nach der ständigen Rechtsprechung neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden (s. zur Abwägung nur Hentschel, Straßenverkehrs-recht, 40. Aufl., § 17 StVG, Rdnr. 4 m. w. N.).
Bei der gebotenen Abwägung ist maßgebend, dass der ehemalige Beklagte zu 1. unstreitig auf das Klägerfahrzeug aufgefahren ist. Im Falle eines Auffahrunfalls spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten oder sein Fahrgeschwindigkeit nicht der Verkehrssituation angepasst oder es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen (KG NZV 2003, 43 f). Somit kommt eine Mithaftung der Klägerin nur in Betracht, wenn die Beklagte zu 2. deren ursächliches Mitverschulden am Unfall darlegen und beweisen kann. Daran fehlt es aber. Zwar ist die Klägerin mit ihrem Fuß von der Kupplung abgerutscht und damit auch nach ihren Angaben nicht weiter angefahren. Diese Fallkonstellation ist jedoch nicht der Situation gleichzustellen, wo nach dem Anfahren ein Verkehrsteilnehmer plötzlich über das übliche Maß hinaus unerwartet grundlos bremst, § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO. Vorliegend ist es auch nach dem Vorbringen der Beklagten zu 2. noch im Moment des eigentlichen Anfahrens zum Zusammenstoß der Fahrzeuge gekommen. Sie hat dargelegt, dass das Klägerfahrzeug vor dem Unfall 2-3 m nach vorne gefahren ist. Da das Fahrzeug während dieser Fahrtstrecke geruckelt haben soll, war somit für die nachfolgenden Fahrzeuge auch ohne Aufleuchten der Bremslichter hinreichend deutlich, dass der Anfahrvorgang gestört ist. Zwar ist zutreffend, dass nach dem Anhalten vor einer Ampel mit verkürztem Abstand angefahren werden darf, jedoch erst dann, wenn die beteiligten Fahrzeuge wieder Fahrt aufgenommen haben, woran es vorliegend fehlt. Solange sich die Fahrzeuge noch im unmittelbaren Anfahrvorgang befinden, ist der gebotene Sicherheitsabstand einzuhalten, weil erfahrungsgemäß Fahrzeuge aus den verschiedensten Gründen nicht zügig anfahren können und der kaum begonnene Verkehrsfluss oft wieder ins Stocken gerät (KG VRS 46, 66; OLG Bremen, VersR 1977, 158f). Somit ist im Ergebnis von einem derart überwiegenden Verschulden des ehemaligen Beklagten zu 1. am Unfall auszugehen, dass das geringfügige Verschulden der Klägerin beim Anfahren haftungsrechtlich außer Betracht zu bleiben hat.
Ergebnis: Auffahrende(r) haftet zu 100 %
Aber … es geht auch anders:
LG Hagen vom 12.12.2011, 7 S 100/12
Die Klägerin hat sich im Rahmen der hier zu bildenden Haftungsquote zumindest einen schuldhaften Verursachungsbeitrag von 25 % entgegen halten zu lassen. Sie hat nämlich fahrlässig gegen § 1 II StVO verstoßen, indem sie sich mit ihrem Fahrzeug zunächst ca. einen halben Meter vorwärts bewegt hat und ihr beim Anfahrvorgang sodann der Fuß von der Kupplung gerutscht ist, so dass der Motor aus ging und das Fahrzeug stehen blieb.
Darüber hinaus teilt die Kammer auch die Auffassung des Amtsgerichts, dass das Verschulden der Klägerin nicht vollständig hinter den Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) zurück tritt. Die von der Berufung zitierte Entscheidung des Landgerichts Berlin (vgl. Urt. v. 31.03.2009 – Az. 42 O 41/09, Schaden-Praxis 2010, 70) ist auf den vorliegenden Fall nicht eins zu eins übertragbar. Das Kammergericht hat im Rahmen der vorgenannten Entscheidung, der eine ähnliche Unfallkonstellation wie hier zu Grunde gelegen hat, bei der Frage, ob und wie die Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten zu berücksichtigen sind, eine Gesamtbewertung der maßgeblichen Umstände vorgenommen. Dabei hat das Kammergericht zum Einen richtigerweise ausgeführt, dass nachfolgende Fahrzeuge auch im Vorgang des Anfahrens an einer Lichtzeichenanlage oder sonstigen Kreuzung den jeweils gebotenen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einzuhalten haben. Zum Anderen hat das Kammergericht aber auch die Feststellung treffen können, dass sich das vorausfahrende Fahrzeug der dortigen Klägerin ca. 3 m ruckelnd vorwärts bewegt habe, bevor es zum Stillstand gekommen ist. Daher sei für nachfolgende Fahrzeuge auch ohne Aufleuchten der Bremslichter hinreichend deutlich gewesen, dass der Anfahrvorgang gestört ist. Aus diesen beiden wesentlichen Erwägungen heraus hat das Kammergericht in dem konkret zu entscheidenden Einzelfall ein geringes Verschulden des vorausfahrenden Fahrzeugführers haftungsrechtlich außer Betracht gelassen.
Für die Kammer ist ebenfalls von wesentlicher Bedeutung, ob sich der nachfolgende Fahrzeugverkehr darauf einstellen konnte, dass sich bei vorausfahrenden Fahrzeug Probleme in Anfahrvorgang ergeben. Im hier zu entscheidenden Fall ging das Abrutschen von der Kupplung und der daraus resultierende Stillstand von Motor und Fahrzeug für den Beklagten zu 1) – im Gegensatz zur Entscheidung des Kammergerichts – ohne erkennbare Vorwarnung einher. Die Klägerin hat in persönlicher Anhörung erklärt, dass ihr vor der Betätigung des Gaspedals der Fuß von dem Kupplungspedal gerutscht sei, so dass das Fahrzeug nach einem halben Meter Wegstrecke zum Stillstand gekommen sei. Der Kammer ist aus eigener Erfahrung bekannt, dass der Motor eines Kraftfahrzeugs bei einer solchen Fehlbedienung unmittelbar ruckartig aus geht. Ein längeres Ruckeln des Fahrzeugs, das für nachfolgende Fahrzeugführer erkennbar wäre, entsteht dabei nicht. Auch hat sich das klägerische Fahrzeug nach dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien nicht mehrere Meter ruckelnd vorwärts bewegt. Daher ist es im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt, den Verschuldensbeitrag der Klägerin vollends außer Acht zu lassen.
Ergebnis: “Abwürger” haftet zu 25 % mit
Ähnlich und mit gleicher Quote:
AG Frankenthal, Urteil vom 07.09.2017, 3a C 140/17
6. Mithaftung eines “Falschparkers” ?
AG Überlingen, Urteil vom 20.03.2018, 1 C 94/17
Entsteht beim Ausparken aus einer Parkbox ein Schaden an einem Fahrzeug, das behindernd und entgegen der Fahrtrichtung in einer Zu- und Abfahrt parkt, trifft dessen Fahrzeugführer eine Mithaftung von 20 %.
Quelle: beck-online / LSK 2018, 48659 / SVR 2020, 394
LG Kiel, Urteil vom 27.09.2001, 7 S 64/01
Ein Verstoß gegen das absolute Halteverbot führt bei engen Straßenverhältnissen i. d. R. zumindest zu einer Mithaftung in Höhe der einfachen Betriebsgefahr, ein die Mithaftung auschließendes, unabwendbares Ereignis liegt dann für den Halter und/oder Fahrer des verbotswidrig abgestellten Fahrzeuges nicht vor.
Quelle: beck-online / LSK 2002, 370166 / DAR 2002, 318
AG Hildesheim, Urteil vom 20.12.2000, 18 C 529/00
Nach einer Koalition mit einem verbotswidrig abgestellten Fahrzeug kommt für dessen Halter ausnahmsweise eine Mithaftung nicht in Betracht, wenn das verbotswidrig abgestellte Fahrzeug ohne Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer geparkt war und das Fahrzeug bei Tageslicht für jeden anderen Verkehrsteilnehmer ohne weiteres erkennbar gewesen ist.
Quelle: beck-online / LSK 2002, 370174 / DAR 2002, 322
LG Saarbrücken, Urteil vom 13.11.2020, 13 S 92/20
“Falschparken” an Bushaltestellen
Das Haltverbot an Bushaltstellen nach § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Zeichen 224 (Anl. 2) betrifft nicht nur die Fahrbahn der Haltestelle, sondern auch den angrenzenden Seitenstreifen, um neben dem Schutz der ein- und aussteigenden Fahrgäste auch ein gefahrloses Ein- und Ausfahren seitlich ausschwenkender Busse zu gewährleisten.
Quelle → LG Saarbrücken Falschparken an Bushaltestelle
LG Hamburg, Urteil vom 21.08.2020, 306 O 207/19
Wird verbotswidrig geparkt, ist häufig ein Haftungsanteil des Halters des abgestellten Fahrzeuges gerechtfertigt, wobei der Umfang letztlich aber auch hier vom Verursachungsbeitrag des Unfallgegners abhängt und sich bei groben Verkehrsverstößen ermäßigt. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass der aktiv durch Fahren handelnde Verkehrsteilnehmer ein verkehrswidrig parkendes Fahrzeug in der Regel wahrnehmen und bei entsprechender Aufmerksamkeit einen Zusammenstoß verhindern kann. In einer solchen Konstellation überwiegt grundsätzlich sein Verursachungsanteil gegenüber dem des Halters des parkenden Fahrzeugs. Entscheidend ist also, ob die Wahrnehmbarkeit des parkenden Kfz beeinträchtigt ist und in welchem Umfang das verbotswidrig parkende Fahrzeug ein Hindernis für den fließenden Verkehr darstellt (Walter, Spickhoff, BeckOGK StVG, Stand: 1.9.2019, § 17 Rn. 102; vgl. auch König, Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 12 StVO Rn. 63 sowie Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16. Aufl. 2020, Ziff. A. Rn. 294).
Das absolute Halteverbot diente vorliegend den Interessen des fließenden Verkehres, so dass dessen Schutzzweck sich auch auf den vorliegenden Sachverhalt erstreckte. In der Straße K. Allee befindet sich im Unfallbereich eine breitere Verkehrsinsel zwischen den beiden Spuren, wodurch bereits baulich die jeweilige Fahrbahn begrenzt und verengt wird. Durch das angeordnete Halteverbot soll die verengte Spur von zusätzlichen Behinderungen durch haltende und parkende Fahrzeuge freigehalten werden. Das klägerische Fahrzeug hat die dem gleichgerichteten Verkehr verbleibende Spurbreite erheblich verengt. Insofern ist auch beachtlich, dass es sich bei dem klägerischen Fahrzeug um ein im Vergleich etwa zu einem Kleinwagen breiteres SUV handelte. Überdies ist zu beachten, dass die K. Allee gerichtsbekanntermaßen relativ stark frequentiert und die Parkplatzsituation dort angespannt ist. Der Unfallbereich wird noch dadurch unübersichtlich, dass der Fußgängerverkehr die Verkehrsinsel zum Überqueren der Straße nutzt, so dass ein Fahrzeugführer beim Passieren auch hierauf zu achten hat. Das im Halteverbot abgestellte klägerische Fahrzeug stellte nach der konkreten Lage eine Gefährdung für den fließenden Verkehr dar, indem es andere Fahrzeugführer zu einem fehleranfälligen Durchfahren der Engstelle zwang.
Ergebnis:
Das klägerische Fahrzeug stellte in der konkreten Lage eine nicht unerhebliche Erschwerung des fließenden Verkehrs dar – was zu einer Mithaftung von 20 % (einfache Betriebsgefahr).
7. Linksabbieger vs. Geradeausfahrer (in unterschiedlichen Konstellationen)
a. Linksabbieger fährt bei “Gelblicht” in den Kreuzungsbereich ein
OLG Hamm, Urteil vom 30.05.2016, 6 U 13/16
Ein Wechsel der Lichtzeichen einer Lichtzeichenanlage von Grün- auf Gelblicht ordnet an anzuhalten,
wenn dies mit normaler Betriebsbremsung möglich ist.
Gegen diese Regelung verstößt schuldhaft, wer nach einem Wechsel der Lichtzeichen von grün auf gelb mit einem Sattelzug in den Kreuzungsbereich einfährt, obwohl ihm mit normaler Betriebsbremsung ein Anhalten zwar erst jenseits der Haltelinie, aber noch vor der Lichtzeichenanlage möglich ist.
b. Erhöhung der Haftungsquote bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Geradeausfahrer
KG Berlin, Beschluss vom 31.05.2010, 12 U 105/09
Im Falle einer ungeklärten Ampelschaltung ist grundsätzlich von einer hälftigen Schadensteilung auszugehen (vgl. BGH NJW 1996, 1405; Senat KGR Berlin 2003, 7). Vorliegend hat das Landgericht aber den Haftungsanteil der Beklagten zu Recht auf 2/3 erhöht, weil der Beklagte zu 1) mit einer um 10 km/h überhöhten Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren ist und dies nach den Feststellungen des Sachverständigen auch mit unfallursächlich war. Eine weitere Erhöhung der Haftungsquote kommt auch nach Ansicht des Senats nicht in Betracht. Das Landgericht hat deshalb die unfallursächliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Rahmen der Abwägung der Haftungsquoten ausreichend berücksichtigt.
c. Kollision eines mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit fahrenden Vorfahrtsberechtigten mit einem wartepflichtigen Linksabbieger
LG Neubrandenburg, Urteil vom 08.05.2009, 12 O 28/09
Ein vorfahrtberechtigter Motorradfahrer, der mit erheblich erhöhter Geschwindigkeit (100 km/h statt erlaubter 50 km/h) innerorts an einer Kreuzung mit einem entgegenkommenden wartepflichtigen Linksabbieger, kollidiert, haftet zu 2/3.
KG Berlin, Urteil vom 22. 8. 2019, 22 U 33/18
Wird die höchstzulässige Geschwindigkeit um mehr als das Doppelte überschritten und liegt die Geschwindigkeit innerorts absolut über 100 km/h, ist ein besonders schwerer Verkehrsverstoß gegeben, der in der Regel zu einer Alleinhaftung führt, auch wenn der Handelnde an sich die Vorfahrt hat.
Quelle: Leitsatz aus recht+schaden 2019, 652
8. Klassiker “Parkplatzunfall”
OLG Saarbrücken, Urteil vom 06.06.2019, 4 U 89/18
Kollidieren zwei jeweils rückwärts ausparkende Pkw auf einem unübersichtlichen Parkplatz, berechtigt allein der Umstand, dass einer der beiden Pkw in einem nicht näher einzugrenzenden Zeitpunkt vor dem Zusammenstoß zum Stehen gekommen war, insoweit nicht zur Annahme eines unabwendbaren Ereignisses und tritt die Betriebsgefahr dieses Pkw im Einzelfall nicht schon wegen des vorkollisionären Stillstands zurück.
Dabei darf sich die Prüfung aber nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer” reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein „Idealfahrer” überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre; denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal” verhält. Damit verlangt § 17 Abs. 3 StVG, dass der „Idealfahrer” in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden.
In diesem Fall ist eine Haftungsverteilung von 80/20 zu Lasten des im Kollisionszeitpunkt noch in Rückwärtsfahrbewegung befindlichen Kfz gerechtfertigt (Abgrenzung OLG Saarbrücken, 9. Oktober 2014, 4 U 46/14, NJW-RR 2015, 223).
Quelle: → OLG Saarbrücken 4 U 89/18
9. Auffahrunfall vor Ampel nach Umschalten von Grün auf Gelb
OLG Celle, Beschluss vom 07.05.2018, 14 U 60/18
Schaltet eine Kreuzungsampel von grün auf gelb, so muss ein herankommender Kraftfahrer gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO bis zum Stillstand abbremsen, solange ihm ein Anhalten vor dem Kreuzungsbereich noch möglich ist. Der Kreuzungsbereich in diesem Sinne beginnt nicht an einer etwa vorhandenen Haltelinie, sondern erst dort, wo sich die Fahrspuren der Geradeausfahrenden mit denjenigen der Abbiegenden kreuzen (vgl. 1 Ss (OWi) 625/77). , Beschl. v. 2.11.1977 –
Der Führer eines Fahrzeug muss damit rechnen, dass das vor ihm fahrende Fahrzeug bei der Annäherung an eine Ampel plötzlich abrupt bremst, weil die Ampel von grün auf gelb umspringt.
Kommt es vor einer Ampel zu einem Auffahrunfall, weil der Vorausfahrende, dem ein Anhalten vor dem Kreuzungsbereich noch möglich ist, beim Umschalten der Ampel von grün auf gelb plötzlich abrupt bremst, so kommt eine Alleinhaftung des Auffahrenden, für dessen unfallursächliches Verschulden der Beweis des ersten Anscheins spricht, in Betracht (vgl. OLG Karlsruhe, FHZivR 33 Nr. 4194).
BGH, Urteil vom 16. Januar 2007, VI ZR 248/05
Der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis kann auch dann erschüttert werden, wenn der Vorausfahrende unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhalteweges “ruckartig” – etwa infolge einer Kollision – zum Stehen gekommen und der Nachfolgende deshalb aufgefahren ist (Senatsurteil vom 9. Dezember 1986 – VI ZR 138/85 – aaO; vgl. Lepa, NZV 1992, 129, 132). Daran fehlt es aber, wenn das vorausfahrende Fahrzeug – wie hier der PKW von Frau H. – durch eine Vollbremsung oder Notbremsung zum Stillstand kommt, denn ein plötzliches scharfes Bremsen des Vorausfahrenden muss ein Kraftfahrer grundsätzlich einkalkulieren (BGHSt 17, 223, 225; Senatsurteile vom 23. April 1968 – VI ZR 17/67 – VersR 1968, 670, 672 und vom 9. Dezember 1986 – VI ZR 138/85 – aaO, m.w.N.).
LG Heidelberg, Urteil vom 11.10.2013, 5 O 106/13
Soweit dessen ungeachtet eine starke, gar abrupte Bremsung feststeht, stellt dies gleichwohl das Verschulden des Beklagten zu 3 nicht in Frage. Denn der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis kann zwar auch dann erschüttert werden, wenn der Vorausfahrende unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhalteweges “ruckartig” – etwa infolge einer Kollision – zum Stehen gekommen und der Nachfolgende deshalb aufgefahren ist. Daran fehlt es aber, wenn das vorausfahrende Fahrzeug durch eine Vollbremsung oder Notbremsung zum Stillstand kommt, denn ein plötzliches scharfes Bremsen des Vorausfahrenden muss ein Kraftfahrer grundsätzlich einkalkulieren (BGH, NJW-RR 2007, 680 f. – juris Rz. 6).
LG Saarbrücken, Urteil vom 05.06.2020, 13 S 181/19
Erschütterung des Anscheinsbeweises hinsichtlich der Unfallverursachung durch einen Vorfahrtsverstoß
Der Anscheinsbeweis eines Vorfahrtsverstoßes (§ 8 Abs. 2 Satz 2 StVO) ist erst dann erschüttert, wenn eine Geschwindigkeit des Vorfahrtberechtigten feststeht, bei der zumindest die Möglichkeit besteht, dass er für den Wartepflichtigen im Zeitpunkt seines Anfahrentschlusses nicht erkennbar war.
Der Nachweis einer solchen Geschwindigkeit obliegt dem Wartepflichtigen, weil er Umstände zu beweisen hat, die dem Unfallgeschehen die für einen Vorfahrtsverstoß sprechende Typizität nehmen.
10. Auffahren auf einen plötzlich abbremsenden / haltenden Verkehrsteilnehmer
OLG Celle, Urteil vom 16.12.2020, 14 U 87/20
Der Auffahrende haftet auch bei unverhofft starkem Bremsen des Vorausfahrenden ohne zwingenden Grund in der Regel überwiegend (hier 70 : 30).
Gegen den Auffahrenden spricht der Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Unfallverursachung, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die gegen die Typizität des Geschehens sprechen.
Auch im Falle eines Kettenauffahrunfalls kann nach den Umständen des Einzelfalls ein Anscheinsbeweis gegen den ersten Auffahrenden sprechen.
Der Hintermann muss grundsätzlich, wenn keine atypische Konstellation vorliegt, mit einem plötzlichen scharfen Bremsen des Vorausfahrenden rechnen; der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist in dem Fall nicht erschüttert.
Aus den Gründen (nur die Schlag”worte”):
Betreffend den auffahrenden Hintermann:
Der Hintermann muss grundsätzlich mit einem plötzlichen scharfen Bremsen rechnen (vgl. u.a. MüKoStVR-Bender, § 4 StVO, Rn. 20).
Auf Autobahnen muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Kraftfahrzeug nach StVO § 4 Abs. 1 S 1 in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn das vorausfahrende Fahrzeug plötzlich gebremst wird (BGH, Urteil vom 09. Dezember 1986 – VI ZR 138/85 –, juris).
Betreffend den vorausfahrenden Bremser:
Es (gemeint ist das Landgericht) hat insbesondere zu Recht darauf abgestellt, dass der Beklagte zu 1) im Rahmen seiner persönlichen Anhörung selbst erklärt hat, stärker gebremst zu haben, als es eigentlich erforderlich gewesen wäre, wohl deshalb, weil er das Fahrzeug nicht so gut gekannt habe; der Verkehr vor ihm habe sich nicht gestaut.
Volltext → Auffahrunfall auf urplötzlich Bremsenden
BGH, Urteil vom 09.12.1986 – VI ZR 138/85
Autobahn / Abstand zum Vordermann / plötzliches Abbremsen des Vordermannes
Auf Autobahnen muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Kraftfahrzeug nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn das vorausfahrende Fahrzeug plötzlich gebremst wird. Jedoch ist nicht mit einem “ruckartigen” Stehenbleiben zu rechnen; vielmehr kann der nachfolgende Fahrer, wenn keine besonderen Umstände dem entgegenstehen, den vollen Weg einer Notbremsung des Vorausfahrenden bei Bemessung seines Abstandes einkalkulieren.
OLG Hamm, Beschluss vom 07.01.2021, 7 U 53/20
Vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr bei gefährlichem Fahrmanöver; Konstellation: Abbiegen aus der linken von zwei Fahrspuren in ein Grundstück
Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Auffahrenden kann bei einem besonders gefährlichen Fahrmanöver des Vorausfahrenden vollständig hinter dessen Verursachungs- und Verschuldensbeiträgen sowie der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zurücktreten, so hier beim Abbiegen aus der linken von zwei Fahrspuren in ein Grundstück.