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Wir starten dann hier auch schon Teil 2 unserer großen Reise durch die Fragen von Haftung, Haftungsquoten und Verschuldensanteilen.
Wie immer erst die Übersicht:
1. Fahrbahnverengung – einseitig und beidseitig
2. Alles rund um die Einbahnstraße
3. Unfall KFZ vs. Fahrrad
4. Unfälle im Zusammenhang mit der Lichtzeichenanlage (Ampel)
5. “Rund” um und im Kreisverkehr
Und jetzt geht es los:
1. Fahrbahnverengung – einseitig und beidseitig
BGH, Urteil vom 08.03.2022, VI ZR 47/21
Bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung (Gefahrenzeichen 120 nach Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 StVO) gilt das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme (§ 1 StVO). Ein regelhafter Vorrang eines der beiden bisherigen Fahrstreifen besteht nicht.
Im Falle der Verengung von zuvor zwei auf nunmehr nur noch einen Fahrstreifen gibt es – anders als beim Zeichen 121 (“Einseitig verengte Fahrbahn”) – nicht einen durchgehenden und einen endenden Fahrstreifen, sondern beide Fahrstreifen werden in einen Fahrstreifen überführt. Das Durchfahren der Engstelle ist daher für sich genommen nicht mit einem Fahrstreifenwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO verbunden; auch greift das Reißverschlussverfahren des § 7 Abs. 4 StVO nicht unmittelbar. Die in der Verengung liegende und durch das Zeichen 120 signalisierte Gefahr führt jedoch zu einer erhöhten Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht der auf beiden Fahrstreifen auf die Engstelle zufahrenden Verkehrsteilnehmer im Sinne des § 1, § 3 Abs. 1 StVO…
Nichts anderes gilt auch dann, wenn beide Fahrzeuge gleichauf und mit gleicher Geschwindigkeit an die Engstelle gelangen. Auch in diesem Fall gebührt dem rechts fahrenden Fahrzeug nicht regelhaft der Vortritt.
Das Gefahrenzeichen 120 enthält eine derartige Vorrangregelung nicht.
2. Alles rund um die Einbahnstraße
LG Wuppertal, Urteil vom 30.6.2022 – 9 S 48/22
Zur Frage, wann sich der eine Einbahnstraße entgegen der erlaubten Fahrtrichtung befahrende Kfz-Führer auf den Grundsatz rechts-vor-links berufen kann.
Dem Vorfahrtsrecht der Beklagten steht im Entscheidungsfall nicht entgegen, dass sie eine Einbahnstraße in verbotener Richtung befahren haben.
Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile wiegt der dem Kläger zuzurechnende Sorgfaltsverstoß jedenfalls nicht weniger als die Verkehrswidrigkeit der Beklagten zu 2). Kommt der Vorfahrtberechtigte aus einer für ihn gesperrten Straße (ohne deshalb sein Vorfahrtrecht verloren zu haben), unterliegt er zwar einer besonderen Sorgfaltspflicht, sodass bei einem Zusammenstoß in der Regel von seiner Mithaftung auszugehen sein wird, die nach den Umständen des Einzelfalles (z.B. Art der gesperrten Straße) zu bestimmen ist (Grüneberg Haftungsquoten, A. Unfälle zwischen Kfz und Kfz Rn. 49, beck-online). Der Verkehrsverstoß der Beklagtenseite wiegt ausweislich des Bußgeldkataloges (25 € ohne und 35 € mit Sachbeschädigung) objektiv nicht schwerer als der Vorfahrtverstoß auf Klägerseite. Vielmehr ist bei Verletzung der Rechts-vor-links-Regel mit Sachbeschädigung ein Bußgeld von 120 € sowie ein Punkt vorgesehen. Deshalb wird der Kläger durch eine Haftungsverteilung von 50/50 nach Auffassung der Kammer nicht benachteiligt. Sie wird von der Kammer auch letztlich als angemessen angesehen.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2022, 19796, beck-online
3. Unfall KFZ vs. Fahrrad
OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018 – I-7 U 44/17
Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge tritt die einfache Betriebsgefahr eines PKW hinter einem für den Unfall ursächlichen Vorfahrtsverstoß des verunfallten Fahrradfahrers vollständig zurück.
Quelle → Volltext / URTEIL / OLG HAMM
4. Unfälle im Zusammenhang mit der Lichtzeichenanlage
OLG Saarbrücken, Urteil vom 21.04.2023 – 3 U 11/23
Überragende Bedeutung einer Kreuzungs-Ampel für die Schuld- und Haftungsfrage
Der Verkehrsregelung durch eine Lichtzeichenanlage an einer Kreuzung oder Einmündung kommt eine so erhebliche Bedeutung zu, dass die Betriebsgefahr sowie im Einzelfall auch ein geringfügiges Verschulden des bei Grünlicht in den geschützten Kreuzungs-/Einmündungsbereich Einfahrenden hinter den Rotlichtverstoß des Unfallgegners zurücktritt.
Quelle → DIREKT zum VOLLTEXT
5. “Rund” um und im Kreisverkehr
OLG Koblenz, Beschluss vom 22.09.2022 – 12 U 917/22
Vorfahrtsrecht bei Einfahrt in einen “kleinen” Kreisverkehr
1. Ist ein Kreisverkehr an der Einmündung in den Kreis mit den beiden Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren) und 215 (Kreisverkehr) versehen, ist derjenige als vorfahrtsberechtigt anzusehen, der als Erster die Zeichen passiert hat und in den Kreisverkehr eingefahren ist; ein vollständiges Einfahren in den Kreisverkehr ist für die Begründung des Vorfahrtsrechts nicht erforderlich.
2. Der danach Vorfahrtsberechtigte ist auch nicht gehalten, nach dem Einfahren in den Kreisel nochmals eine Blickzuwendung nach links vorzunehmen (und bei Erkennen eines sich von dort mit überhöhter Geschwindigkeit nähernden Fahrzeugs zur Vermeidung einer Kollision eine „Notbremsung“ vorzunehmen), sondern darf sich darauf verlassen, dass noch nicht in den Kreisverkehr eingefahrene Fahrzeuge sein bestehendes Vorfahrtsrecht beachten werden.
Quelle: BeckRS 2022, 24717 / beck-online