VG Düsseldorf, Urteil vom 29.11.2016, 14 K 6395/16
Ein seiner baulichen Gestaltung nach eindeutig für die Benutzung durch Radfahrer bestimmter Straßenteil ist auch ohne Kennzeichnung durch Zeichen 237 ein Radweg.
BGH, Urteil vom 17.6.2014, VI ZR 281/13
Kein Mitverschulden wegen Fahrradfahrens ohne Helm
Der Schadensersatzanspruch eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, ist jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert.
KG Berlin, Hinweisbeschluss vom 26.02.2018, 22 U 146/16
Unfall zwischen zwei Radfahrern beim Überholen
1. Stoßen zwei Fahrradfahrer bei einem Überholvorgang im gleichgerichteten Verkehr zusammen, trägt der Geschädigte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der andere seine Pflichten verletzt hat.
2. Der Überholvorgang ist nur dann durch Schallzeichen (Klingel) einzuleiten, wenn dieser wegen der geringen Breite des Fahrwegs oder erkennbarer Unsicherheit des zu Überholenden besonders gefährlich erscheint.
Aus den Gründen:
Nach § 5 Abs. 1 StVO ist links zu überholen. Dabei ist nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Radfahrern einzuhalten. Der Überholende muss sich weiter so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist und der Überholte nicht behindert wird. Dies alles gilt auch dann, wenn ein Radfahrer einen anderen Radfahrer überholen will, weil ihm das Überholen trotz der Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO grundsätzlich erlaubt ist. Die Regelung § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO betrifft nur den Fall, dass länger nebeneinander gefahren und gerade nicht überholt werden soll (vgl. Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 2 Rdn. 55). Die beim Überholen zu beachtenden Pflichten setzen das vorherige Ankündigen des Überholens grundsätzlich nicht voraus. Selbst nach § 5 Abs. 6 StVO besteht keine Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Schallzeichen. Anderes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine besondere Sachlage vorliegt. Eine solche Konstellation könnte gegeben sein, wenn der Überholvorgang wegen der geringen Straßenbreite besonders gefährlich ist oder der zu Überholende erkennbar unsicher ist. All dies ist hier aber nicht der Fall gewesen. Aus dem gleichen Grund scheidet auch eine Verpflichtung aus § 16 Abs. 1 StVO aus. Dann aber kann hier auch offen bleiben, ob sich eine etwaige Verletzung der Ankündigungspflicht überhaupt auf den Unfall ausgewirkt hat, nachdem der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung ausdrücklich erklärt hat, er habe sich nicht wegen des Überholens erschrocken, sondern wegen der Berührung.
OLG Bremen, Urteil vom 20.12.2017, 1 U 37/17 / 1 U 42/17
Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt (und bleibt unter Umständen auch noch vorfahrtberechtigt)!
Hier schön nachzulesen aus einem aktuellen Urteil des OLG Bremen:
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Vorfahrtssituation an der Unfallstelle und damit auch die Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- und Verursachungsanteile auch nicht anders zu bewerten, wenn man unterstellt, dass die Klägerin – wie sie selbst vorträgt – ihr Fahrrad vor der Kollision schob.
Der Auffassung des Landgerichts, die Klägerin habe durch ihr Absteigen von dem Fahrrad und Schieben desselben auf ein ihr möglicherweise zustehendes Vorfahrtsrecht verzichtet und sei als Fußgängerin einzustufen, kann nicht gefolgt werden.
Als Fahrzeugführer im Sinne des § 8 StVO, dem allein ein Vorfahrtsrecht nach dieser Vorschrift einzuräumen ist, gilt derjenige, der ein Fahrzeug tatsächlich fährt. Ein kurzfristiges Bremsen, Zögern oder sogar Anhalten und sich auf der Fahrbahn abstützen, kann für einen Radfahrer nichts an seiner Einordnung als Fahrzeugführer ändern. Die Klägerin hat angegeben, dass sie von ihrem Fahrzeug gestiegen sei und dies wegen der Unübersichtlichkeit der Verkehrssituation im Kreuzungsbereich geschoben habe.
Eine derartige Vorgehensweise gehört aber naturgemäß zu dem für den Betrieb und die ordnungsgemäße Handhabung eines Fahrrades erforderlichen Ablauf.
Der Radfahrer, der zur Beachtung der erforderlichen Sorgfalt an einer gefährlichen Stelle kurzfristig von seinem Fahrrad steigt, eine kurze Strecke von weniger als 2 Metern schiebt, um diese für ihn unübersichtliche Stelle sicher zu überwinden und dann sofort wieder auf sein Fahrzeug zu steigen, kann sich durch diese Vorgänge seiner rechtlichen Einordnung als Fahrzeugführer nicht begeben. Die von der Klägerin geschilderte Vorgehensweise, das kurzfristige Absteigen von ihrem Fahrrad, ist so eng zeitlich und räumlich auch mit dem Abbiegevorgang und damit dem Führen des Fahrrades verbunden, dass diese Unterbrechung nicht ausschlaggebend dafür sein kann, dass sie nicht mehr als Radfahrerin anzusehen wäre. Die von dem Landgericht an dieser Stelle diskutierten Urteile (BGH, Urteil v. 05.11.1957 – VI ZR 248/56, juris, NJW 1958, 259; BGH, Urteil v. 20.01.1970 – VI ZR 136/68, juris) betrafen andere Sachverhaltskonstellationen und können daher für die Beurteilung der hier vorliegenden Verkehrssituation nicht herangezogen werden.
OLG Hamm, Hinweisbeschluss v. 10.4.2018 – 7 U 5/18
Pedelecs, bei denen der Motor ausschließlich unterstützend arbeitet und bei denen die maximale Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h begrenzt ist, sind verkehrsrechtlich als Fahrrad einzuordnen.
Wer an einem auf dem Seitenstreifen fahrenden Verkehrsteilnehmer vorbeifährt, überholt nicht im Sinne des § 5 StVO.
Ein außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 StVO begonnener Überholvorgang wird nicht zu einem Überholen im Sinne des § 5 StVO, wenn der langsamere Verkehrsteilnehmer seine Fahrspur wechselt.
OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018, 7 U 44/17
Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge tritt die einfache Betriebsgefahr eines PKW hinter einem für den Unfall ursächlichen Vorfahrtsverstoß des verunfallten Fahrradfahrers vollständig zurück.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.5.2016, 9 U 115/15
Haftung bei Fahrradunfall: Pflichten des Radfahrers beim Überholen eines anderen Radfahrers; Seitenabstand, Radwegbreite
1. Ein Radfahrer muss grundsätzlich mit Schwankungen in der Fahrlinie eines vorausfahrenden Radfahrers rechnen. Ein Seitenabstand von ca. 32 cm beim Überholen (gemessen zwischen den Körpern der beiden Radfahrer) ist daher – jedenfalls auf einem unebenen Sand-Schotter-Weg – in der Regel zu gering.
2. Ist auf einem 2 Meter breiten Radweg ein Überholen mit ausreichendem Seitenabstand nicht möglich, muss der schnellere Radfahrer gegebenenfalls vom Überholen absehen. Offen bleibt, ob ein Überholen mit geringerem Seitenabstand in Betracht kommt, wenn vor dem Überholvorgang eine Verständigung zwischen den Radfahrern stattgefunden hat.
3. Ein Radfahrer, dessen Fahrlinie auf einem 2 Meter breiten Sand-Schotter-Weg einen Seitenabstand von ca. 80 cm zum rechten Rand des Weges einhält, verstößt nicht gegen das Rechtsfahrgebot.
OLG München, Urteil vom 16.11.2018, 10 U 1885/18
130%-Rechtsprechung auch bei Fahrrädern
Die zu beschädigten Kraftfahrzeugen ergangene “130%-Rechtsprechung” gilt auch für Fahrräder (hier: Rennrad mit Carbonrahmen).
LG Konstanz, Urteil vom 28.11.2018, N 4 O 156/18
Der Entleiher eines Fahrrads haftet einem Dritten gegenüber für einen Schaden aufgrund ausgefallener Beleuchtung nur, wenn der Dritte nachweist, dass dem Entleiher an dem Ausfall der Beleuchtung ein Verschulden trifft.
Quelle: Der Verkehrsanwalt (DV) 2/2019, Seite 63
VG Augsburg, Urteil vom 09.09.2019, Au 7 K 18.1240
Alkoholfahrt mit einem Fahrrad – MPU – Fahrerlaubnis
Wer ein Fahrrad im Straßenverkehr mit 1,6 Promille oder mehr führt, kann aufgefordert werden, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Kommt er dem nicht nach, kann auf seien mangelnde Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr geschlossen und ihm das Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge (Fahrrad, Mofa) untersagt werden.
OLG Celle, Urteil vom 19.02.2020, 14 U 69/19
Haftung eines achtjährigen Kindes, das aufgrund längerer Unaufmerksamkeit mit dem Fahrrad die Spur verliert und eine stehende Fußgängerin anfährt.
Einem altersgerecht entwickeltem achtjährigem Kind, das bereits seit seinem fünften Lebensjahr im Straßenverkehr Fahrrad fährt, muss bewusst sein, dass eine länger andauernde Vorwärtsfahrt mit dem Fahrrad, während der Kopf rückwärtsgewandt und damit das Blickfeld vom Fahrweg abgewandt ist, gefahrenträchtig ist.
OLG bejaht Anspruch (nur) gegenüber Kind
Das Landgericht hatte die Klage der Fußgängerin abgewiesen. Auf deren Berufung hat das OLG Celle die Entscheidung des LG teilweise geändert und das Kind zur Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld verurteilt. Ein Anspruch gegenüber den Eltern des Kindes bestehe demgegenüber nicht, weil diese ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hätten.
Ab sieben Jahren Haftung bei entsprechender Einsichtsfähigkeit
In der Entscheidung legt das OLG die Voraussetzungen dar, unter denen Kinder für von ihnen verursachte Schäden haften. Nach § 828 BGB seien Minderjährige unter sieben Jahren für anderen zugefügte Schäden nicht verantwortlich. Solange sie keine zehn Jahre alt sind, hafteten Kinder auch nicht für Schäden durch einen Unfall mit einem Kraftfahrzeug oder im Schienenverkehr. Von sieben bis 17 Jahren hafteten Minderjährige aber für solche Schäden, die sie einem anderen zufügen, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besitzen. Dazu genüge die Fähigkeit des Kindes, zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann.
Quelle (auch): Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 20. Februar 2020
OLG Frankfurt am Main vom 12.3.2020, Az. 1 U 31/19
Kein generellerer Haftungsausschluss bei Trainingsfahrt von Radfahrern
Bei einer sportlich angelegten Trainingsfahrt von Radfahrern gibt es keinen generellen Ausschluss der Haftung für gegenseitig verursachte Unfälle. Das typische Risiko der Pulkfahrt realisiere sich nicht, wenn es zum Unfall beim Überholvorgang im Rahmen einer „ruhigeren Ausfahrt“ komme, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit heute veröffentlichtem Urteil.
Quelle und Entscheidung nachzulesen → Kein Haftungsausschluss Radfahren