Rund ums Bußgeldverfahren – in Leitsätzen und Kurzanmerkungen (Teil 3)
1.
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 27.08.2018 – 2 Ss OWi 472/18
Notwendiger Inhalt der Urteilsgründe bei Verurteilung wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit (Messverfahren, Messgerät, Messtoleranz)
Bei einer Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit muss der Tatrichter – von dem hier nicht vorliegenden Fall eines uneingeschränkten und glaubhaften Geständnisses abgesehen – in den Urteilsgründen regelmäßig das angewandte Messverfahren und den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die sachlich-rechtliche Nachprüfung der Beweisführung zu ermöglichen (BGHSt 39, 291, 303 f.).
Es wird lediglich festgestellt, dass der Betroffene innerhalb einer geschlossenen Ortschaft unter Abzug einer Toleranz von 3 km/h mit einer Geschwindigkeit von 81 km/h gefahren ist und an dieser Stelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h beschränkt war. Im Urteil werden aber weder das angewandte Messverfahren noch das eingesetzte Messgerät genannt, das gegebenenfalls Rückschlüsse auf das Messverfahren zulassen würde. Auch das bloße Einräumen des Verkehrsverstoßes ohne nähere Wiedergabe seines Inhalts ist vorliegend nicht ausreichend, weil nicht nachgeprüft werden kann, ob dem Tatrichter bei der Feststellung der auf Grundlage der Einlassung des Betroffenen ermittelten Geschwindigkeit Rechtsfehler, etwa bei der Berücksichtigung von Toleranzen, unterlaufen sind.
2.
OLG Bamberg, Beschluss v. 01.03.2019 – 3 Ss OWi 126/19
Tatvorsatz bei Geschwindigkeitsüberschreitung auf Autobahnen – Übersehen eines Verkehrszeichens
Bei einer Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung müssen die tatrichterlichen Feststellungen eindeutig und nachvollziehbar ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.
Auch anlässlich der Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung dürfen die Tatgerichte die auf Erfahrung beruhende Wertung, dass ordnungsgemäß aufgestellte, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkende Verkehrszeichen von durchschnittlichen Verkehrsteilnehmern bei zumutbarer Aufmerksamkeit anlässlich der Fahrt in aller Regel wahrgenommen werden, regelmäßig zugrunde legen.
Die Möglichkeit, dass der Betroffene die eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichen übersehen hat, ist allerdings dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür entweder greifbare Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene im Verfahren einwendet, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben.
3.
AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.03.2019, 979 OWI 42/19
Einspruchseinlegung auch per Mail möglich !?
Es ist zwar richtig, dass grundsätzlich bei Einspruchseinlegung die Schriftform einzuhalten ist oder der Einspruch zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde eingelegt werden muss.
Wenn jedoch aus dem Schriftstück der Inhalt der abzugebenden Erklärung und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden kann, kann der Einspruch auch per E-Mail eingelegt werden, wenn die Verwaltungsbehörde im Bußgeldbescheid – entweder im Text oder im Briefkopf und ohne Einschränkung – eine E-Mail-Adresse angibt (vgl. Göhler § 67 OWiG RdZiffer 19, 22a).
Dies ist vorliegend der Fall. Der Regierungspräsident in Kassel stellt in seinem Bußgeldbescheid sowohl eine E-Mail als auch eine Internetverbindung im Briefkopf zur Verfügung, so dass dem Betroffenen jetzt im Nachhinein nicht vorgeworfen werden kann, dass er diese Kommunikationsmöglichkeiten der modernen Technik genutzt und sich nicht allein der Schriftform bzw. der Niederschrift auf der Geschäftsstelle in Kassel bedient hat.
4.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.06.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 261/19 (148/19)
Entbindungsantrag – Verwerfungsurteil – Abwesenheitsverfahren – rechtliches Gehör – Rechtsbeschwerde
Denn wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, nicht entschieden und ergeht ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, liegt die Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das Gericht nicht in Abwesenheit des Betroffenen dessen Einlassung oder Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag gestützt wird (§ 73 Abs. 2OWiG), zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in der Sache erwogen, sondern mit einem Prozessurteil den Einspruch des Betroffenen verworfen hat. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Erklärungen – seine Einlassung oder seine Aussageverweigerung – zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit in der Sache entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens erfüllt sind (vgl. Senatsbeschl. vom 1. November 2013, 1 Z – 53 Ss-OWi 471/13 – 271/13; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2011 – 1 Ss (OWi) 83 Z/11 -; Senatsbeschluss 254; BayObLG ZfS 2001, 185; , Beschluss vom 27. April 2011 -2 Ss (OWi) 50/11 I 63/11 zit. n. juris). Hierbei ist unbeachtlich, dass ausweislich des Vermerks der Vorsitzenden vom 16. April 2019 der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen die erkennende Richterin vor der Hauptverhandlung nicht mehr erreicht hat. Der Antrag ist nicht zur Unzeit bei Gericht eingegangen, es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Schriftsatz vor der Hauptverhandlung, mithin innerhalb von 24 Stunden, der erkennenden Richterin nicht hätte vorgelegt werden können. Das in der Sphäre der Justiz liegende Organisationsverschulden kann dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen. -; Senatsbeschluss vom 22. November 2007 – 1 Ss (OWi) 251 B/07 -; Senatsbeschluss vom 25. September 2006 – 1 Ss (OWi) 172 B/06 -; Senatsbeschluss vom 3. Januar 2006 – 1 Ss (OWi) 270 B/05 – Senatsbeschluss vom 10. Juli 2009 – 1 Ss (OWi) 108 Z/09; ebenso: OLG Köln ZfS 2002,
5.
AG Zweibrücken, Urteil vom 29.10.2018, 1 OWi 4285 Js 7167/18
Der Halterbegriff ist als Rechtsbegriff mittels der tatsächlichen Feststellungen aufzulösen und gilt einheitlich im gesamten Verkehrsrecht.
Die Verantwortlichkeit eines Betroffenen als Halter scheidet aus, wenn die tatsächlichen Feststellungen ergeben, dass eine andere Person als der Betroffene, der selbst lediglich Zulassungsinhaber des Fahrzeugs ist, das Fahrzeug überwiegend und auf eigene Rechnung gebraucht und damit tatsächlich und wirtschaftlich über die Fahrzeugnutzung verfügen kann.
Aus den Gründen:
Der Halterbegriff entstammt § 833 BGB und gilt einheitlich für das gesamte Straßenverkehrsrecht. Maßgeblich ist, von wem das Fahrzeug auf eigene Rechnung gebraucht wird, wer also die Kosten bestreitet und die Verwendungsnutzungen zieht und wer tatsächlich, vornehmlich wirtschaftlich, über die Fahrzeugbenutzung (als Gefahrenquelle) so verfügen kann, dass es dem Wesen der Veranlasserhaftung entspricht (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 7 StVG, Rn. 14). Halter ist mithin diejenige Person, die tatsächlich über die Fahrzeugbenutzung verfügen kann, wobei die Verfügungsgewalt darin bestehen muss, dass der Fahrzeugbenutzer Anlass, Ziel und Zeit seiner Fahrten selbst bestimmt (KG Berlin, Beschl. v. 25.07.2017 – (6) 121 Ss 91/17 (32/17), juris).
Quelle: Justizportal Rheinland-Pfalz
6.
AG Schleswig, Beschluss vom 05.07.2018, 53 OWI 107 Js 8757/18 (aus NStZ 2018, 727)
Unwirksamkeit eines Bußgeldbescheides – Tatortbeschreibung – Umgrenzungsfunktion
Der Bußgeldbescheid muss nicht nur den Tatvorwurf umschreiben, sondern auch den Tatort derart exakt umschreiben, dass eine Verwechselung mit anderen vergleichbaren Ordnungswidrigkeiten ausgeschlossen werden kann. Verstöße hiergegen führen zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids.
Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr reicht die bloße Angabe des Straßennamens nicht aus, sofern davon eine längere Fahrstrecke erfasst wird. Unter diesen Umständen muss der Tatort durch zusätzliche Angaben weiter eingegrenzt werden.
Aus den Gründen:
Der von der Verteidigung angegriffene Bußgeldbescheid leidet indes unter schwerwiegenden Mängeln, da eine exakte Angabe des Tatortes im Bußgeldbescheid nicht angegeben ist und insofern eine Verwechselungsgefahr mit möglicherweise anderen Ordnungswidrigkeiten nicht ausgeschlossen werden kann (AG Lüdingshausen BeckRS 2015, 12516; AG Husum BeckRS 2017, 128121; im Übrigen bereits BGH NJW 1970, 2222, 2223; so auch ausdrücklich Rebler NZV 2016, 304, 308). Maßgebend ist danach eine Abgrenzung im Einzelfall. Die Konkretisierung des Tatvorwurfs und des Tatortes müssen jedoch nicht nur sicherstellen, dass der Betroffene überhaupt ein Bewusstsein für den ihm vorgeworfenen Verstoß bilden kann und dass insbesondere Verwechselungen sicher ausgeschlossen sind. Gerade bei Verkehrsverstößen, die sich in relativ kurzen Zeiträumen relativ häufig zu wiederholen vermögen, sind insoweit problematisch und müssen von der Bußgeldbehörde im Bußgeldbescheid präzise konkretisiert werden (bereits BGH aaO). So liegt der Fall hier, denn es besteht die Gefahr einer Verwechselung mit anderen ordnungswidrigen Geschwindigkeitsüberschreitungen durch den Betroffenen. Der Bußgeldbescheid umschreibt den Tatort nur mit der Straßenbezeichnung ohne nähere Eingrenzung, sodass für die Tatbegehung eine erhebliche räumliche Varianz besteht. Insofern ist der Verteidigung Recht zu geben, dass auf einer Fahrstrecke von mindestens 1,7 km weitere Verstöße durch den Betroffenen bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung nicht ausgeschlossen werden können.
…
kann der Mangel des Bußgeldbescheides nicht durch eine Zusammenschau mit dem Akteninhalt oder ggf. aufgenommenen anderen Verstößen geheilt werden. Denn das Verjährungsrecht – und dies wurde in der Verfügung der Dezernatsvorgängerin verkannt – ist formelles Recht, das zwingend ist. Mit anderen Worten darf der Akteninhalt bei Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht herangezogen werden, da ansonsten die formelle Verjährungsfolge – namentlich das Erlöschen der Ahndungsmöglichkeit – umgangen werden würde. Das gilt auch wenn der Verstoß durch den Betroffenen möglicherweise aus dem Akteninhalt ersichtlich ist. Die Bezugnahme auf den Akteninhalt zur Heilung von Mängeln des Bußgeldbescheides ist nur bei nicht schwerwiegenden, die Wirksamkeit nicht beeinträchtigenden Mängeln möglich (Rebler aaO 306 mwN). Bei schwerwiegenden Mängeln – wie der hier fehlenden Umgrenzungsfunktion – darf die Heilung schon deshalb nicht eintreten, weil sie sonst die Schutzfunktion des Bestimmtheitsgrundsatzes vollständig aufheben würden. Dieser dient aber im Ergebnis dem Schutz der Bürger davor zum Objekt staatlicher Willkür zu werden und ist letztlich Ausdruck von verfassungsrechtlich verbürgten Verfahrensgarantien, die den Grundstein rechtsstaatlichen Handelns bilden.
Es danken Ihre Rechtsanwälte / Fachanwälte für Verkehrsrecht aus Rostock – “alles” rund um Bußgeldbescheid, Autokauf, Unfall und Fahrerlaubnis !