Fahrzeugausfall führt zum Nutzungsausfall … aber …
Gerade in den Fällen, in denen das beschädigte Fahrzeug nicht mehr nutzbar ist, weil nicht mehr fahrbereit bzw. nicht mehr verkehrssicher, gibt es immer Streit über die von der Versicherung zu erstattenden Mietwagenkosten bzw. den Nutzungsausfall. Denn wenn das eigene Fahrzeug nach dem Unfall nicht zu nutzen ist, es aber über die Begutachtung, die Haftungsübernahmebestätigung der Versicherung bis hin zur Reparatur mit Auslieferung doch einige Tage bis zu mitunter Wochen dauert, dann tobt der Streit über den Zeitraum, den die Versicherung ausgleichen muss.
An sich alles kein großes Problem, denkt man ja. Nur leider sieht die Praxis anders aus, der Versicherer zahlt nur 5 Tage Nutzungsausfall bzw. 1 Woche den Mietwagen. Zur Begründung verweist der Versicherer darauf, dass man ja schließlich die Reparatur (oder beim Totalschaden die Ersatzbeschaffung) doch selber gleich hätte beauftragen können. Und was erwidern wir dann alle (mal nett ausgedrückt): Und mit welchem Geld bitte!?
Ganz so falsch ist leider der “Angriff” der Versicherung nicht, denn zahlreiche Gerichte stützen genau diese Argumentation. Um nun diesem ganzen Theater zu begegnen, sollte man es dann gleich von Beginn an richtig machen!
Die richtige Strategie …
(und diese ist extrem wichtig und liegt genau auf der Linie der Rechtsprechung) und damit auch unser Tipp an die Geschädigten:
Mit dem ersten Kontakt dem Versicherer ausdrücklich und schriftlich (!) mitteilen, dass keine Möglichkeit besteht, den Unfallschaden vorzufinanzieren. Und dazu dem Versicherer auch gleich (und ebenso ausdrücklich) anbieten, er könne ja, falls er die Instandsetzung beschleunigen wolle, ja ein Darlehen gewähren oder selber vorfinanzieren.
Und was wird passieren? Nichts, denn der Versicherer wird eben nichts davon anbieten. Muss er ja auch nicht, aber, und gerade darauf kommt es uns an, der Versicherer ist gewarnt und hat es selber in der Hand, hier einzugreifen. Wenn er darauf aber nicht eingeht und nichts tut, dann trägt er vom ersten Tag an das Risiko des Ausfalls und damit die gesamten Ausfallkosten.
Dies hat das Landgericht Potsdam genau in einem solchen Fall noch einmal in aller Deutlichkeit bestätigt und dem Geschädigten die volle Erstattung zugesprochen, eben weil er (über seinen Anwalt) genau diesen (schriftlichen) Hinweis gemacht hat (LG Potsdam vom 03.03.2015 zum Aktenzeichen 11 O 166/14).
Auf der gleichen Linie liegt nun eine
wegweisende Entscheidung des OLG Koblenz vom 27. Juni 2016 (Aktenzeichen: 12 U 1090/15),
in der wörtlich ausgeführt und sozusagen eine “Handlungsanweisung” für diese Fälle vorgegeben wird:
… Der Kläger hat hinsichtlich der langen Dauer des Nutzungsausfalls seines Fahrzeugs nicht gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen. Er hat die Kfz.-Haftpflichtversicherung des Beklagten bereits in dem Schreiben vom 6.12.2012 darauf hingewiesen, dass seine finanziellen Verhältnisse eine Vorfinanzierung nicht zulassen. Details zu seinen Vermögensverhältnissen musste er zunächst nicht offenbaren. Wenn die Versicherung des Beklagten weitere Informationen oder Nachweise benötigte, hätte sie diese vom Kläger anfordern müssen (OLG Dresden, Urteil vom 30.06.2010 – 7 U 313/10). Dass der anwaltlich vertretene Kläger in dem Schreiben vom 06.12.2012 auch geschrieben hat, er sei nicht zu einer Vorfinanzierung verpflichtet, ändert nichts daran, dass er seiner Informationspflicht nachgekommen ist und es an dem Beklagten bzw. seiner Versicherung war, darauf zu reagieren.
Hintergrund der Entscheidung:
Der Geschädigte hatte eine Nutzungsausfallentschädigung für 172 Tage in Höhe von 8.600 EUR begehrt und zugesprochen bekommen.
Und so klappt es dann auch vor dem heimatlichen Amtsgericht, so dass uns nun auch eine Bestätigung des AG Rostock, Urteil vom 07.10.2016, Aktenzeichen: 47 C 120/16 vorliegt. Die Urteilsgründe findet Ihr in einem gesonderten Beitrag unter den News.
Zumutbarkeit einer Kreditaufnahme? Nein! Aber immer die Schadenminderungspflicht beachten!
Zum Abschluss noch zwei wichtige Punkte, um das Thema abzurunden:
(1) Ein Geschädigter ist nicht verpflichtet, einen Kredit aufzunehmen, um eine Reparatur vorzufinanzieren. Die Versicherer behaupten natürlich das Gegenteil, aber die Rechtsprechung ist auch hier eindeutig auf Seiten des Geschädigten.
(2) Wenn es aber möglich ist, die Verkehrssicherheit durch eine schnelle und unkomplizierte Notreparatur wieder herzustellen, dann sollte dies bedacht und in Angriff genommen werden. Aber wenn auch hier Werkstatt und Sachverständiger des Vertrauens dabei sind, dann geht hier auch nichts schief.
Noch ein letzter Hinweis zum allgemeinen Verständnis:
Das Gleiche gilt auch für die Fälle, in denen der Ausfall mit einem Mietwagen “überbrückt” wird. Allerdings sollte hier wegen der ständig auflaufenden Kosten noch viel genauer von Anfang an hierauf Wert gelegt werden. Es empfiehlt sich, am besten gleich nach dem Unfall Beratung einzuholen, um eben alles richtig zu machen und sich selber vor Kosten und Anspruchsverlust zu schützen.
Und hier noch mehr aus der Rechtsprechung (wird ständig aktualisiert):
1.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.06.2017 – 4 U 33/16
Für den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung wegen unfallbedingter Beschädigung eines Kraftfahrzeugs ist es grundsätzlich unschädlich, wenn dem Geschädigten von Dritten, insbesondere Familienmitgliedern, unentgeltlich ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestellt wird.
Aus den Gründen:
…
a) Der durch die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs bedingte Nutzungsausfall ist regelmäßig ein nach § 249 Abs. 2 BGB zu ersetzender Schaden (BGH NJW 2013, 1149, 1150 Rn. 13). Die Entschädigung für entgangene Gebrauchsvorteile des Kraftfahrzeugs setzt voraus, dass der Geschädigte tatsächlich an der Nutzung seines Fahrzeugs gehindert war (Nutzungsentzug) und der Verzicht auf ein Ersatzfahrzeug sich für ihn als „fühlbarer“ wirtschaftlicher Nachteil ausgewirkt hat, weil er das Fahrzeug während der Wiederherstellungszeit in dieser Zeit benutzen wollte (Nutzungswille) und zur Nutzung in der Lage war (hypothetische Nutzungsmöglichkeit) und die Entbehrung der Nutzung nicht in anderer, anrechenbarer Weise aufgefangen worden ist (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR 1. Aufl. § 249 BGB Rn. 211 m. w. Nachw.). Der Nutzungsentzug infolge der Beseitigung der vom Kläger verursachten Beschädigung des Beklagten-Pkw, der durch die abgerechnete Reparatur (Bl. 40 ff. d. A.) indizierte Nutzungswille und die hypothetische Nutzungsmöglichkeit des offensichtlich weiterhin fahrtüchtigen Beklagten zu 1 stehen außer Frage. Schließlich ist entgegen der Auffassung des Landgerichts auch ein „fühlbarer“ wirtschaftlicher Nachteil des Beklagten zu 1 zu bejahen.
aa) Zwar kann die Fühlbarkeit der Nutzungsentbehrung fehlen, wenn dem Geschädigten ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung steht, dessen Einsatz ihm zumutbar ist (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, aaO Rn. 215). Wer über ein weiteres Fahrzeug verfügt, dessen Einsatz ihm zuzumuten ist, kann keine Nutzungsausfallentschädigung, sondern allenfalls Ersatz der Vorhaltekosten beanspruchen (BGH NJW 1976, 286; Knerr in Geigel, Der Haftpflichtprozess 27. Aufl. Kap. 3 Rn. 97).
bb) Hingegen bleibt nach überwiegender Auffassung und insbesondere der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, welcher der Senat folgt, der Nutzungsentschädigungsanspruch bestehen, wenn der Geschädigte von Dritten, worunter auch Familienmitglieder fallen, unentgeltlich ein Ersatzfahrzeug erhalten hat (BGH NJW 1970, 1120, 1122 [fühlbare Einbuße auch dann, wenn statt des „kräfteschonende(n) Fahren(s) in dem leistungsstarken und bequemen (achtsitzigen) Mercedes 600“ vom Arbeitgeber ein Opel Rekord mit Chauffeur gestellt wird]; 1975, 255, 256 [Ehefrau]; 2013, 1151, 1153 Rn. 23 [Vater]; OLG Celle VersR 1973, 281 [Ehefrau]; OLG Koblenz r + s 2014, 46, 47 [Verwandtenkreis]; LG Osnabrück VersR 1984, 1178 [Ls.; Sohn]; Erman/Ebert, BGB 14. Aufl. § 249 Rn. 52; Staudinger/Schiemann, BGB Neubearb. 2017 § 251 Rn. 80; Böhme/Biela, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 25. Aufl. a) Grundsätze Rn. 88; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, aaO Rn. 215; vgl. auch Palandt/Grüneberg, BGB 76. Aufl. § 249 Rn. 42; a. A. z. B. AG Kaiserslautern ZfSch 1990, 193 [Ehefrau]; Fielenbach NZV 2015, 272, 273 ff. [Freunde oder Verwandte]). Würde im Fall der vorübergehenden Überlassung eines Fahrzeugs z. B. durch die Ehefrau des Geschädigten eine erst durch den Schadensfall ausgelöste, allein um der Ehe willen bestehende Hilfs- und Beistandspflicht zugunsten des Schädigers berücksichtigt, so widerspräche das dem in § 843 Abs. 4 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgrundsatz, dass es nicht zur Entlastung des Schädigers führen darf, wenn die konkrete wirtschaftliche Lage des Betroffenen von einer nachteiligen Veränderung nur dank solcher Leistungen eines anderen verschont geblieben ist, die nicht dem Schädiger zugutekommen sollen (BGH NJW 1975, 255, 256). Dies gilt auch für den Nutzungsausfallschaden (BGH NJW 1970, 1120, 1122; 2013, 1151, 1153 Rn. 23). So geht es beispielsweise den Schädiger offensichtlich auch nichts an, wenn der Geschädigte, der mangels Ersatzwagens zu Fuß geht, von anderen aus Gefälligkeit mitgenommen wird oder wenn der Verkäufer des neu anzuschaffenden Wagens seinem Kunden schon gleich einen Ersatzwagen unentgeltlich zur Verfügung stellt (BGH NJW 1970, 1120, 1122). Insofern ist die – auf die vorstehend unter aa) dargestellte Konstellation anzuwendende – höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Nutzungsausfall für ein beschädigtes Kraftfahrzeug nicht fordern kann, wer (selbst) über mindestens ein zweites derzeit ungenutztes Fahrzeug verfügt, dessen ersatzweiser Einsatz ihm zuzumuten ist (BGH NJW 1976, 286), nicht einschlägig (BGH NJW 2013, 1151, 1153 Rn. 23).
b) Die somit erforderliche Abgrenzung, ob die unter aa) – eigenes Ersatzfahrzeug – oder die unter bb) dargestellte Fallgestaltung – Überlassung eines Ersatzfahrzeugs durch Dritte – vorliegt, nimmt der Senat auf der Grundlage des im Berufungsrechtszug maßgeblichen Sach- und Streitstandes dahin vor, dass die für die Nutzungsausfallentschädigung unerhebliche Überlassung eines Ersatzfahrzeugs durch die Ehefrau, also die Konstellation unter bb), gegeben ist.
2.
Warum es immer wichtig ist, bei der Anmietung eines Mietwagens nach einem Unfall aufmerksam zu sein, zeigt ein aktuelles Urteil des
Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 23.01.2018, 7 U 46/17)
1. Bei einer geringen Fahrleistung kann die Anmietung eines Ersatzwagens nicht erforderlich sein.
2. Wenn die Anmietung eines Ersatzwagens nicht erforderlich war, steht dem Geschädigten regelmäßig eine Nutzungsausfallentschädigung zu.
Aus den Gründen:
Der Senat geht davon aus, dass ein tägliches Fahrbedürfnis von weniger als 20 km am Tag einen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstellt.
Allein die tatsächliche Fahrtstrecke ist zwar nicht entscheidend. Es ist anerkannt, dass kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorliegt, wenn der Geschädigte – vorliegend der Kläger – auf die ständige Verfügbarkeit eines KFZ angewiesen gewesen wäre oder der Fahrbedarf nicht voraussehbar war.
Aufgrund des für den Kläger absehbaren deutlich unterdurchschnittlich geringen Fahrbedarfs hätte er vorab den Preis des Mietfahrzeugs überschlägig erfragen und eine überschlägige Gegenüberstellung zu den voraussichtlichen Taxikosten vornehmen müssen. Dann hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass die Mietwagenkosten von ca. 111 € pro Tag die voraussichtlichen Taxikosten um ein Mehrfaches übersteigen werden. Diese Überlegungen mussten sich für den Kläger auch deswegen aufdrängen, weil die geltend gemachten Mietwagenkosten über ¼ der Reparaturkosten betragen.