Kritisches Vorwort …
Da es seit Monaten in der Rechtsprechung drunter und drüber geht zur Frage, worauf denn die Verteidigung in einem Bußgeldverfahren im Rahmen der Akteneinsicht Anspruch hat, haben wir uns entschlossen, hier nach und nach die zum Teil vollkommen wirren Urteile und Beschlüsse aus deutschen Gerichten vorzustellen. Natürlich erhebt dieser Blog keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Erschreckend ist nur, dass bislang eher weniger Gerichte (dann aber glücklicherweise mit knackigen Argumenten) der Verteidigung das Recht zusprechen, auch ohne konkreten Vortrag die Messdaten (auch der Mess-Serie), die Wartungsunterlagen (eventuell gar die “Lebensakte“) und alle sonstigen Unterlagen einzusehen. Es dürfte doch an jedem Stammtisch klar sein, dass ein Verteidiger (ggfls. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen) erst einmal Einsicht in alle diese Unterlagen haben muss, um überhaupt prüfen zu können. Wie soll man denn überhaupt einen Messfehler konkret vortragen, wenn man gar keine vollständige Akteneinsicht erhält. Wer dann nun die Entscheidungen liest, die nach unserer Meinung, die Verteidigung und damit die Rechte des Betroffenen beschneiden, wird – hoffentlich – den Kopf schütteln. Dankenswerterweise tun dies mittlerweile auch eine ganze Reihe renommierter Richter.
Letztlich kann für uns nur gelten, immer weiter zu machen und uns dem Recht (des Betroffenen) verpflichtet zu fühlen. Es geht schlicht und ergreifend um den rechtsstaatlichen Anspruch des Betroffenen auf eine ungehinderte Verteidigung.
Um dem Leser einen besseren Überblick zu geben, trennen wir die “Richtungen” in der Rechtsprechung in zwei Blöcke und beginnen unter I. mit den Entscheidungen, die für eine unbeschränkte Verteidigung (also pro Betroffenen) stehen …
I. Entscheidungen “pro” Betroffenen
AG Hannover, Beschl. v. 28.11.2017 – 24 OWi 298/17
Auch im Falle eines sog. standardisierten Messverfahrens kann sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ein Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in vorhandene, sich nicht bei den Akten befindliche Messdaten ergeben, und zwar unabhängig davon, ob konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorliegen oder vorgetragen worden sind (vgl. Beschluss des OLG Celle v. 16.6.2016, Az. 1 Ss (Owi) 96/16, juris). Dies ergibt sich aus der Obliegenheit des Betroffenen, im weiteren Verfahrensverlauf konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Geschwindigkeitsmessung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt. Hierfür benötigt der Betroffene zwangsläufig den Zugang zu den oben bezeichneten Daten, da erst die Auswertung dieser Daten unter Hinzuziehung eines Sachverständigen den Betroffenen in die Lage zu einem konkreten, entsprechenden Sachvortrag versetzt.
Einer solchen Datenherausgabe stehen mit der Herausgabe an den Verteidiger und der Bereitstellung an einen von diesem beauftragten Sachverständen auch eventuelle datenschutzrechtliche Bedenken nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, welche unzulässigen Informationen oder Schlussfolgerungen aus den obigen Daten gezogen werden sollten
Der Verteidiger ist selbst Organ der Rechtspflege und damit zu einem sachgemäßen Umgang standesrechtlich verpflichtet. Auch in der Person eines Sachverständigen ist ein Missbrauch konkret nicht zu befürchten.
Es stößt dabei gelinde gesagt beim Gericht auf mehr als nur Verwunderung, dass die Bußgeldbehörde trotz der mittlerweile hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung, die dem Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Herausgabe der Messdaten ausnahmslos zubilligt und bei Verweigerung der Herausgabe durch die Bußgeldbehörde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen konstatiert (vgl. OLG Celle a.a.O., OLG Celle, Beschluss vom 21. März 2016 — 2 Ss (0Wi) 77/16 —, juris m.w.N.), weiterhin unter Berufung auf datenschutzrechtliche Richtlinien dennoch die Gerichte mit derart eindeutigen Sachverhalten überobligatorisch in Anspruch nimmt und damit vermeidbar für andere Verfahren dringend benötigte Kapazitäten bindet.
AG Heidelberg, Beschluss vom 26.07.2017 – 16 OWi 432/17
Auf den Antrag des Verteidigers wird die Bußgeldbehörde verpflichtet, dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger Einsicht in die Unterlagen zu gewähren, aus denen sich durchgeführte Wartungs- und/oder Reparaturarbeiten sowie Eichungen (Wartungsbuch, Lebensakte o.a.) ergeben. Die Einsicht kann auch durch Übersendung einer Kopie derselben erfolgen.
Die Verwaltungsbehörde wird ferner verpflichtet, dem Betroffenen bzw. dessen Verteidiger Einsicht in die Unterlagen zu gewähren, aus denen sich die verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung am Tattag am Tatort ergeben.
Die Verwaltungsbehörde wird ferner verpflichtet, einem vom Betroffenen oder dessen Verteidiger beauftragten, öffentlich bestellt und vereidigten Sachverständigen für Verkehrsmesstechnik den gesamten Datensatz der Messreihe nebst Token und Passwort zur Verfügung zu stellen.
Die Verwaltungsbehörde wird ferner verpflichtet, dem Verteidiger die Statistikdatei für die Messreihe am Tattag – sofern vorhanden – zur Verfügung zu stellen.
OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16
Denn bereits die Entscheidung, dem Betroffenen nicht die Möglichkeit einzuräumen, auf die Rohmessdaten zurückzugreifen, stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
Auch wenn die Messdaten nicht Bestandteil der Verfahrensakte sind, müssen sie dem Betroffenen auf dessen Antrag zur Verfügung gestellt werden. Denn nur so wird der Betroffene in die Lage versetzt, die Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Dass es sich bei der angewendeten Messmethode um ein standardisiertes Verfahren handelt, steht dem nicht entgegen. Gerade weil bei einer solchen Messmethode das erkennende Gericht nur zu einer weiteren Aufklärung und Darlegung verpflichtet ist, wenn sich Anzeichen für eine fehlerhafte Messung ergeben, muss dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet sein, solche Fehler substantiiert vortragen zu können. Hierfür ist er auf die Messdaten angewiesen. Werden diese zurückgehalten, liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.; Cierniak, ZfS 2012, 664).
AG Freiburg, Beschl. v. 07.06.2017 – 37 OWi 88/17
Gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 147 StPO hat der Verteidiger des Betroffenen ein Recht auf Akteneinsicht, das sich auf alle Akten, Aktenteile und weitere Unterlagen oder Datenträger bezieht, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird (Göhler OWiG, 15. Aufl., § 60 Rn. 49), aus denen sich der Schuldvorwurf ergeben soll und die möglicherweise auch der Entlastung des Betroffenen dienen können.
Das umfassende Akteneinsichtsrecht der Verteidigung ist auch aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens begründet. Die Verteidigung muss, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, die erfolgte Messung in allen Einzelheiten auch und gerade hinsichtliche möglicher Fehlerquellen überprüfen können (AG Cottbus, Beschluss vom 14.09.2012 – Az.: 83 OWi 1122/12).
LG Trier, Beschluss vom 14.09.2017 – 1 Qs 46/17
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Wittlich vom 8. August 2017 (36 OWi 8141 Js 12602/17) aufgehoben und das Polizeipräsidium Rheinpfalz, Zentrale Bußgeldstelle, angewiesen, der Verteidigerin folgende Daten auf einem von ihr bereitgestellten Speichermedium zur Verfügung zu stellen:
• Digitale Falldatensätze inklusive unverschlüsselter Rohmessdaten der gesamten Messserie,
• Statistikdatei zur Messserie.
Ferner hat das Polizeipräsidium Rheinpfalz, Zentrale Bußgeldstelle, der Verteidigerin folgende Unterlagen zur Verfügung zu stellen:
• Wartungs- und Instandsetzungsnachweise des Messgeräts seit der letzten Eichung,
• Eichnachweise seit der ersten Inbetriebnahme.
Der dem Amtsgericht Wittlich bereits auf CD vorliegende “Public Key” des Messgeräts ist der Verteidigerin ebenfalls im Wege der Akteneinsicht zur Verfügung zu stellen.
AG Daun, Beschluss vom 15.11.2017 – 4 OWi 68/17 (ändert die eigene Rechtsprechung zugunsten des Betroffenen)
Die Zentrale Bußgeldstelle Speyer war zunächst antragsgemäß zu verpflichten, dem Betroffenen Einsicht in die gesamte Messerie zu verschaffen.
Da aber jedenfalls die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung vom Betroffenen einen detaillierten Vortrag im Hinblick auf etwaige konkrete Mängel des Messverfahrens verlangt, muss der Betroffene bzw. sein Verteidiger in der Lage sein, konkrete, die Amtsaufklärungspflicht auslösende Anhaltspunkte für Messfehler vorzutragen. Hierfür aber wiederum benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen und insbesondere zum Messfilm bzw. zu den kompletten Messdaten der Messserie. Erst die Auswertung dieser Daten – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen- versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem Sachvortrag.
Und dann ein kleines “ABER” in Sachen Lebensakte …
Es besteht jedoch kein Anspruch des Beschwerdeführers auf Beiziehung einer Lebensakte des verwendeten Geschwindigkeitsmessgerätes, von (weiteren) Eichscheinen und Nachweisen über Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe an dem Messgerät gemäß § 31 Abs. 2 Ziffer 4 MessEG.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.01.2018 – 2 Rb 8 Ss 839/17
Denn Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) ist es, dass dem Betroffenen auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, zur Verfügung zu stellen sind. Dazu gehört in Verkehrsordnungswidrigkeitensachen auch die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts (OLG Naumburg DAR 2013, 37; KG DAR 2013, 211; Cierniak/Neuhaus DAR 2014, 2, 4 f.; a.A. – nicht tragend – OLG Frankfurt NStZ-RR 2013, 223).
AG Zossen, Beschluss vom 31. Januar 2018 – 11 OWi 16/18
Dem Verteidiger ist die vollständige Meßdatei, soweit erforderlich samt Token und Paßwort, sowie die gesamte Meßreihe entsprechend § 46 OWiG i.V.m. § 147 StPO zur Verfügung zu stellen. Andernfalls würde das Recht auf rechtliches Gehör verletzt werden. Denn bei der vorliegenden Messung handelt es sich um ein standardisiertes Meßverfahren, so daß der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorzubringen hat. Hierzu ist er nur in der Lage, soweit eine Auswertung der Messung (ggf. durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen) erfolgen kann. Hierfür muß ihm die gesamte Meßreihe vorliegen.
Es ist bislang nicht gerichtsbekannt geworden, daß jemals Bedenken aufgeworfen worden seien, der Staatsanwaltschaft vergleichbare Daten zur Verfügung zu stellen. Das Gericht geht auch davon aus, daß es selbst auf Anforderung die entsprechenden Unterlagen auch zur Verfügung gestellt bekäme. Weshalb diese zwar der Staatsanwaltschaft und dem Gericht, nicht aber der Verteidigung zur Verfügung stehen sollen, erschließt sich nicht.
Im übrigen muß es auch bei einem standardisierten Meßverfahren der Verteidigung ermöglicht werden, Fehler im Meßverfahren zu ermitteln und vorzutragen. Denn solange keine konkreten Einwände gegen die Messung und das Meßergebnis erhoben werden, besteht für das Gericht kein Anlaß, den Meßvorgang sachverständig überprüfen zu lassen (OLG Braunschweig, Beschluß vom 14. Juni 2017 – 1 Ss (OWi) 115/17 -, juris). Wenn aber der Verteidigung obliegt, konkrete Einwände gegen die Messung und das Meßergebnis zu erheben, muß ihr auch eine umfassende Überprüfung der Messung ermöglicht werden. Wie umfassend diese Überprüfung seitens der Verteidigung erfolgt, ist jedoch nicht durch das Gericht und die Bußgeldbehörde, sondern durch die Verteidigung selbst zu entscheiden.
AG Wittlich, Beschluss vom 13.03.2018 – 36b OWi 8143 Js 11489/17 (2)
Die Verwaltungsbehörde wird verpflichtet, der Verteidigerin
die digitalen Falldatensätze inklusive unverschlüsselter Rohmessdaten der gesamten Messserie,
sowie die Statistikdatei auf einem von ihr bereitgestellten Speichermedium,
alle Wartungs- und Instandsetzungsnachweise des Messgeräts Vitronic PoliScanSpeed M1,
alle Eichscheine des genannten Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme
zur Verfügung zu stellen.
Die Beweismittel sollen dem Gericht zwecks Weiterleitung an die Verteidigerin binnen 3 Wochen zur Verfügung gestellt werden.
Saarländisches Verfassungsgericht, Beschluss vom 27.04.2018, Lv 1/18
Aus den Gründen (schlagwortartig):
Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs.
Liegen diese Daten im gerichtlichen Verfahren noch immer nicht vor, ist von dem jeweils Betroffenen oder seinem Verteidiger nach der Rechtsprechung des Saarländischen Oberlandesgerichts ein Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung bis zum Erhalt der Messdaten zu stellen.
Die digitale Messdatei ist Grundlage und originäres Beweismittel der Messung, daher ist sie – rechtzeitig vor dem Prozess – einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen.
Auf die Möglichkeit, Einsicht in die Daten in den Räumlichkeiten der Stadt Saarbrücken zu nehmen, kommt es bereits deshalb nicht an, weil dieses „Angebot“ erst nach dem Ergehen des – verfahrensfehlerhaften – erstinstanzlichen Urteils gemacht wurde. Dieses Angebot ist aber auch deshalb keine praktizierbare Alternative zur Herausgabe der Daten durch die Behörde – etwa durch Versenden der Daten per E-Mail -, weil der Sachverständige die Daten regelmäßig in der Form benötigt, dass sie ihm in seinem Büro zur Verfügung stehen. Weder sind in den Rechnern einer Ordnungsbehörde üblicherweise die Softwareprogramme zu finden, mit denen die Messdaten vollständig überprüft werden könnten, noch ein Sachverständiger an diesen Geräten sein Gutachten erstellen.
Auch die Statistikdatei enthält technische Informationen zur Messung, ist damit von potenziell be- oder entlastender Bedeutung für den Beschwerdeführer und hätte daher herausgegeben werden müssen. Unter anderem enthält sie Information über die Anzahl aufgezeichneter Verstöße im Messzeitraum, was auch Rückschlüsse auf die Sichtbarkeit der Lichtzeichenanlage und damit den Fahrlässigkeitsvorwurf zulassen kann, ferner die Annullationsrate, also Informationen darüber, wie viele Messungen die Anlage – womöglich aufgrund äußerer Einflüsse oder Störfaktoren – verworfen hat.
Es ist willkürlich und unfair und begründet einen Gehörsverstoß, wenn nach Nichtzugänglichmachung der Messdaten – in dieser Situation – der Beweisantrag auf Einholung eines technischen Gutachtens zur weiteren Überprüfung der Messung auf Fehlerhaftigkeit mit der Begründung abgelehnt wird, es liege ein standardisiertes Verfahren vor, und damit ausdrücklich oder stillschweigend dem Beschwerdeführer oder der Verteidigung vorgeworfen wird, es seien keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt worden.
Ergänzender Hinweis:
Die Rüge der Nichtherausgabe der weiteren Fall Daten der Messreihe – also der Messdaten anderer Verkehrsteilnehmer – verfolgt der Beschwerdeführer nicht weiter.
KG Berlin, Beschluss vom 27.04.2018, 3 Ws (B) 133/18
1. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren stets zuverlässige Ergebnisse liefert.
2. Ein Betroffener hat Anspruch darauf, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden.
3. Ein Verteidiger kann, soweit dies zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, im Vorfeld der Hauptverhandlung grundsätzlich auch in solche Unterlagen Einsicht verlangen, die sich nicht bei den Akten befinden.
4. Einen Anspruch auf Erweiterung der Gerichtsakten vermittelt Art. 103 GG nicht.
LG Baden-Baden, Beschluss vom 14.09.2018, 2 Qs 104/18
Auf die Gegenvorstellung des Betroffenen wird der Beschluss der Kammer vom 10.09.2018 dahingehend abgeändert, dass die zuständige Verwaltungsbehörde angewiesen wird,
die Daten derjenigen Messreihe, die den laut Bußgeldbescheid begangenen Verkehrsverstoß des Betroffenen erfasst hat, – ggf. in anonymisierter Form – der Verteidigung zugänglich zu machen.
… nötigt die Kammer trotz der damit verbundenen Erschwernisse für das Verfahren, ihre Entscheidung abzuändern, da zu erwarten ist, dass das OLG Karlsruhe als zuständiges Rechtsbeschwerdegericht die genannte, explizit nur auf die Bedienungsanleitung eines Messgeräts bezogene Rechtsprechung angesichts deren allgemeiner Formulierung auch auf die Bereitstellung von Messdaten erstrecken wird. Dem Schutzinteresse der von der Messreihe erfassten anderen Verkehrsteilnehmer kann durch Anonymisierung ihrer Daten Rechnung getragen werden.
LG Hanau, Beschluss vom 07.01.2019, 4b Qs 114/18
Auf die Beschwerde des Betroffenen wird die Entscheidung des Amtsgerichts Hanau vom 05.12.2018 aufgehoben und das Regierungspräsidium Kassel, Bußgeldstelle, angewiesen, dem Verteidiger folgende Daten auf einen von ihm bereitgestellten Speichermedium zur Verfügung zu stellen:
Den digitalen Falldatensatz des Betroffenen mit Bildern und erkennbaren Bildrändern,
inklusive Rohmessdaten,
die vollständigen Falldatensätze der gesamten Messreihe,
die Token-Datei,
das Passwort,
die vollständige Statistikdatei
sowie -soweit vorhanden- die Geräteakte/Gerätestammakte zum Messgerät.
LG Dillenburg, Beschluss vom 26.11.2018, 3 OWI 2 Js 57859/18 (siehe auch zfs 2019, 234)
Einsichtnahme in die Falldatei muss auch durch Übersendung an den Betroffenen bzw. seinen Verteidiger realisiert werden.
Der Betroffene hat einen Anspruch, dass ihm “seine” Falldatei von der Bußgeldstelle zur Verfügung gestellt wird.
Schön zu lesen sind dann die wirklich mal kurzen Entscheidungsgründe:
… dass die vorgesehene Vorgehensweise für Betroffene und Verteidiger unpraktikabel ist und einen unzumutbaren Aufwand erfordert. Es sollte in Zeiten der Digitalisierung möglich sein, einen solch bescheidenen Datentransfer auf die eine oder andere Weise ohne körperliche Anwesenheit des Empfängers im Einklang mit datenschutzrechtlichen Anforderungen zu ermöglichen.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 – 1 Rn10 Ss 291/19
1. Aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK) folgt das Recht des Betroffenen, dass die Verwaltungsbehörde seinem Verteidiger oder einem von ihm beauftragten Sachverständigen nicht bei den Akten befindliche amtliche Messunterlagen zur Verfügung stellt, die erforderlich sind, um die „Parität des Wissens“ herzustellen und die dem Betroffenen ermöglichen, die Berechtigung des auf das Ergebnis eines (standardisierten) Messverfahrens gestützten Tatvorwurfs mit Hilfe eines Sachverständigen zu überprüfen.
2. Die Verteidigung des Betroffenen wird jedenfalls dann unzulässig beschränkt (§§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO), wenn dieser schon bei der Verwaltungsbehörde und sodann vor dem Amtsgericht im Verfahren nach § 62 OWiG erfolglos einen auf Herausgabe dieser Unterlagen gerichteten Antrag gestellt und sein erneuter, in der Hauptverhandlung mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (§ 228 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG) verbundener Antrag auf Einsichtnahme durch Beschluss des Gerichts zurückgewiesen wurde, sofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung seines Antrags beruht oder beruhen kann.
(Bestätigt durch OLG Karlsruhe mit Beschluss vom 27.09.2019, 1 Rb 10 Ss 531/19).
LG Köln, Beschluss vom 11.10.2019, 323 Qs 106/19
Im Bußgeldverfahren kann der Betroffene wegen der zu garantierenden „Parität des Wissens” bzw. der „Waffengleichheit” verlangen, Einsicht in sämtliche existenten, zur Überprüfung der Messung erforderlichen Messunterlagen zu nehmen, und zwar auch, soweit sich diese nicht in den Gerichtsakten, sondern in den Händen der Verwaltungsbehörde befinden.
Der Grundsatz des fairen Verfahrens und das hieraus folgende Gebot der Waffengleichheit erfordern, dass sowohl die Verfolgungsbehörde als auch die Verteidigung in gleicher Weise Teilnahme-, Informations- und Äußerungsrechte wahrnehmen können, um so Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können. Insofern kann sich hieraus ein Recht auf Einsicht in Akten oder Daten ergeben, welches über das Recht auf Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Akten (§ 147 Abs. 1 StPO) hinausgeht (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19, juris, dort Tz. 24 f.; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 22.05.2019 – 5 Qs 51/19, ZfSch 2019, 471, 472; jeweils m.w.N.).
Denn zum einen gibt es keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefert (so schon BGH, Beschl. v. 19.08.1993 – 4 StR 627/92, juris, dort Tz. 28), und zum anderen hat der Betroffene einen Anspruch darauf, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19, juris, dort Tz. 28; KG Berlin, Beschl. v. 06.08.2018 – 3 Ws (B) 168/18, juris, dort Tz. 9). Bei einem standardisierten Messverfahren ist es dem Betroffen indes nur möglich, die Richtigkeit der Messung anzugreifen, wenn er im jeweiligen Verfahren konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Messung aufzeigen kann. Eine pauschale Behauptung, mit der die Richtigkeit der Messung angezweifelt wird, genügt nicht. Ein solcher dezidierter Vortrag ist dem Betroffenen jedoch nur dann möglich, wenn er – bzw. sein Verteidiger – auch Zugang zu den entsprechenden gesamten Messunterlagen des jeweiligen Messsystems hat und diese ggf. mit Hilfe eines Sachverständigen überprüfen kann (OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16, juris, dort Tz. 5; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 22.05.2019 – 5 Qs 51/19, ZfSch 2019, 471, 472; LG Trier, Beschl. v. 14.06.2017 – 1 Qs 46/17, juris, dort Tz. 40; ferner VGH Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18, juris, dort Tz. 31 ff; jeweils m.w.N.).
Dabei ist es unerheblich, ob bereits konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vom Betroffenen vorgetragen worden sind. Denn ohne umfassende Kenntnis der zur Überprüfung der Messung erforderlichen Messunterlagen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, kann der Betroffene bzw. seine Verteidigung schon nicht verlässlich beurteilen, inwiefern zweckmäßigerweise Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weiter gehen als die Amtsaufklärung des Gerichts (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19, juris, dort Tz. 27 f.; KG Berlin, Beschl. v. 06.08.2018 – 3 Ws (B) 168/18, juris, dort Tz. 9; LG Hanau, Beschl. v. 07.01.2019 – 4b Qs 114/18, juris, dort Tz. 18; a.A. OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.07.2018 – 2 Ss OWi 197/18, juris, dort Tz. 24 ff.).
Anders als im Hinblick auf die Reichweite der gebotenen Amtsaufklärung ist es daher für das Einsichtsrecht des Verteidigers ohne Bedeutung, inwiefern das Gericht selbst es für ausgeschlossen hält, dass sich aus der Auswertung der Messdaten der gesamten Messreihe Entlastungsmomente für den Betroffenen ergeben. Eine konkrete Darlegung seitens des Betroffenen, welche Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Messung sich bei Einsichtnahme in die Messdaten möglicherweise ergeben könnten und welche Schlüsse hieraus zu ziehen wären, ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich.
Und dann noch zum oftmals erfolgten Abwehrversuch unter dem Deckmantel des Datenschutzes:
Auch datenschutzrechtliche Bedenken stehen der Einsichtnahme in die Falldatensätze nicht entgegen. Soweit mit der Zurverfügungstellung der gesamten Messserie ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer einhergeht, weil von diesen jeweils Foto und Kennzeichen übermittelt werden, überwiegt vorliegend das Interesse des Betroffenen an der Durchsetzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass lediglich Foto und Kennzeichen, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift der anderen Verkehrsteilnehmer übermittelt werden.
Und dann noch DANKE für das Vertrauen in die Anwaltschaft:
Zudem ist von einem Verteidiger als Organ der Rechtspflege auch zu erwarten, dass die ihm übermittelten Daten nicht an Dritte weitergegeben werden.
Und das Ergebnis:
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben hat der Betroffene einen Anspruch auf Einsicht in die digitalen Falldateien inkl. Rohmessdaten der kompletten Messreihe vom Tattag.
Quelle: BeckRS 2019, 26465, beck-online
AG Meißen, Beschluss vom 31.01.2020 – 16 OWi 738/19G
Digitale Fallsätze der gesamten Messreihe
Nur wenn dem Betroffenen die ganze Messreihe vorliegt, Ist er in der Lage eine Auswertung, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, der Messung vorzunehmen.
Datenschutzrechtliche Gründe sprechen nicht gegen eine solche Aushändigung.
Wartungs-, Reparatur- und Eichunterlagen seit der letzten Eichung
Unterlagen zum Konformitätsbewertungsverfahren
Verkehrsrechtliche Anordnung
Statistikdatei (txt-Datei)
Eine solche ist bei dem Gerät TraffiStar S350 vorhanden und enthält Informationen, wie die Entfernung zum Messbeginn, die Entfernung zum Messende, die Anzahl durchgefahrener Fahrzeuge, etc. Auf der Grundlage dieser Datei wird dem Verteidiger die Überprüfung ermöglicht, ob alle Messfotos tatsächlich vorliegen oder ob verschiedene Messungen gelöscht oder annulliert wurden. Dies gibt wiederum Hinweise auf die Fehlerträchtigkeit der Messung und ermöglicht damit eine Verteidigung des Betroffenen.
(ergangen zu TRAFFISTAR S350)
Weitere Gerichte “urteilen” in dieser Richtung (“pro”) … zu nennen wären hier … aber bitte immer die konkreten Gründe beachten:
AG Bernkastel-Kues vom 03.03.2017, 8 OWi 21/17
AG Mainz, Beschluss vom 11.01.2018 – 409 OWi 34/18 (gesamte Messreihe)
AG Daun, Beschluss vom 04.04.2018 – 4 a OWI 29/18 (gesamte Messreihe)
LG Kaiserslautern, Beschluss vom 22.05.2019 – 5 Qs 51/19
AG Baden-Baden, Beschluss vom 02.10.2019, 14 OWI 264/19 (betrifft Abstandsmessung und Vorlage des unkomprimierten Originalvideos im Format WMV)
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.09.2019, 1 Rb 10 Ss 531/19
AG Gummersbach, Beschl. v. 20.11.2019 – 85 OWI – 932 Js 9226/19 – 269/19
Und dann nun (endlich) das Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 12. November 2020, 2 BvR 1616/18:
Mit dem am 15.12.2020 veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die den Zugang des Betroffenen im Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zu Informationen betrifft, die nicht Teil der Bußgeldakte waren. Der Beschwerdeführer begehrte zunächst im Rahmen des behördlichen Bußgeldverfahrens erfolglos Zugang zu Informationen, unter anderem der Lebensakte des verwendeten Messgeräts, dem Eichschein und den sogenannten Rohmessdaten, die sich nicht in der Bußgeldakte befanden. Der gegen den anschließend erlassenen Bußgeldbescheid eingelegte Einspruch blieb vor den Fachgerichten erfolglos. Der begehrte Zugang zu den Informationen wurde dem Beschwerdeführer auch von den Fachgerichten vor seiner Verurteilung nicht gewährt. Die Entscheidungen der Fachgerichte verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Zu den Erwägungen:
Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt grundsätzlich auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Wenn der Betroffene Zugang zu Informationen begehrt, die sich außerhalb der Gerichtsakte befinden, um sich Gewissheit über seiner Entlastung dienende Tatsachen zu verschaffen, ist ihm dieser Zugang grundsätzlich zu gewähren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen unbegrenzt gilt. Gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten ist in Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten. Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen deshalb zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen, um eine uferlose Ausforschung, erhebliche Verfahrensverzögerungen und Rechtsmissbrauch zu verhindern. Insofern ist maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen beziehungsweise seines Verteidigers abzustellen. Entscheidend ist, ob dieser eine Information verständiger Weise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf.
Durch die Gewährung eines solchen Informationszugangs wird der Rechtsprechung zu standardisierten Messverfahren nicht die Grundlage entzogen. Zwar steht dem Betroffenen ein Zugangsrecht vom Beginn bis zum Abschluss des Verfahrens zu. Er kann sich mit den Erkenntnissen aus dem Zugang zu weiteren Informationen aber nur erfolgreich verteidigen, wenn er diesen rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt. Solange sich aus der Überprüfung der Informationen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses ergeben, bleiben die Aufklärungs- und Feststellungspflichten der Fachgerichte nach den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens reduziert. Ermittelt der Betroffene indes konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses, hat das Gericht zu entscheiden, ob es sich – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – dennoch von dem Geschwindigkeitsverstoß überzeugen kann. Im Übrigen bleiben die Möglichkeiten zur Ablehnung von Beweisanträgen aus § 77 Abs. 2 OWiG unberührt.
Quelle: aus Pressemitteilung vom 15.12.2020
Volltext siehe → BVerfG vom 12.11.2020 / 2 BvR 1616/18
II. Entscheidungen “kontra” Betroffenen
AG Stadtroda, Beschluss vom 07.08.2017 – 7 OWi 1367/17
Der Betroffene beanstandet, dass ihm im Vorverfahren bestimmte Unterlagen, namentlich die gesamte Messreihe, der Token und das Passwort, die Statistikdatei und die Lebensakte, nicht vorgelegt wurden. Diese Unterlagen sind bislang nicht Aktenbestandteil geworden, so dass sie im Wege der Akteneinsicht auch nicht zugänglich gemacht werden können. Das Recht zur Akteneinsicht begründet keinen Anspruch auf Erweiterung des Aktenbestandes (vgl. ThOLG, Beschluss vom 03.09.2007 – 1 Ws 337/07; ThOLG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 Ss 1/08). Insbesondere ergibt sich aus dem Recht auf Akteneinsicht kein Anspruch hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Akte.
AG Wittlich, Beschluss vom 16.03.2017 – 36 OWi 7/17
Wenn die Verteidigerin neben der Vorlage der digitalisierten Falldatei der konkreten Messung des Betroffenen auch noch die digitalisierte Falldatei der kompletten Messreihe begehrt, kann dem nicht gefolgt werden. Denn Beweismittel für den vorgeworfenen Verkehrsverstoß ist ausschließlich das Messbild des Betroffenen und dessen Messdaten und nicht die digitalisierte Falldatei der kompletten Messreihe (vgl. OLG Frankfurt, DAR 2016, 713; OLG Düsseldorf NZV 2016, 140). Die Verteidigerin der Betroffenen hat im Übrigen auch nicht auf das vorliegenden Verfahren ausreichend tatsachenfundiert vorgetragen, warum sie die gesamte Messreihe benötige und dabei in grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrechte Dritter eingreifen möchte (vgl. OLG Frankfurt, DAR 2016, 713).
Soweit die Bußgeldstelle die Vorlage einer „Geräte-/Lebensakte“ des Messgerätes und von Rechnungen, Wartungs-/Reparaturbelegen des Messgerätes, insbesondere seit der ersten Inbetriebnahme, zurückgewiesen hat, ist dies nicht zu beanstanden.
siehe aber, weil anders, AG Wittlich, Beschluss vom 13.03.2018 – 36b OWi 8143 Js 11489/17(2)
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.2015, IV-2 RBs 63/15
Weder aus § 147 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG noch aus dem Gebot des fairen Verfahrens ergibt sich gegenüber dem Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung ein Recht des Betroffenen auf Einsicht in die bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Daten der Geschwindigkeitsmessungen des Tattages, die lediglich andere Verkehrsteilnehmer betreffen, und auf Überlassung der Daten zur eigenen Auswertung.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.8.2016 – 2 Ss OWi 589/16
Zur Beiziehung der „kompletten Messreihe“
Auch dem Antrag auf Einsicht in die „komplette Messreihe“ muss das Gericht grundsätzlich nicht nachkommen.
Dabei gilt zunächst, dass die „Messreihe“ nicht Aktenbestandteil ist. Beweismittel für den Verkehrsverstoß ist ausschließlich das Messbild des Betroffenen mit den ihn betreffenden Messdaten in der ausgewerteten verbildlichten Form, wie es sich in der Gerichtsakte befindet (OLG Frankfurt a.?M., Beschl. v. 3.3.2016 – 2 Ss-OWi 1059/15= NStZ-RR 2016, 185; v. 28.4.2016 – 2 Ss-OWi 190/16 = NStZ-RR 2016, 322).
Da das in der Akte befindliche „Messbild“ als Beweismittel für den Verkehrsverstoß auf der digitalisierten „Falldatei“ beruht, hat der Betroffene selbstverständlich ein Einsichtsrecht in die „nur“ ihn betreffende digitalisierte Falldatei, auch wenn sie nicht gerichtlicher Aktenbestandteil ist. Das ist aber keine Frage der Akteneinsicht bei Gericht, sondern es handelt sich um ein im Vorfeld der Hauptverhandlung an die Verwaltungsbehörde zu richtendes Gesuch.
AG Trier, Beschluss vom 09.03.2017 – 35 OWi 967/16
Entgegen der bisherigen Auffassung des Gerichts besteht kein Anspruch auf Überlassung der vollständigen Messserie mit Fotos und digitalen Falldaten.
Der Anspruch folgt – in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts – weder aus § 147 StPO noch aus dem Gebot des fairen Verfahren. Die Messdaten des Tattages, die sich nicht auf den Betroffenen, sondern auf andere Verkehrsteilnehmer beziehen, sind nicht Teil der dem Gericht vorliegenden Akte. Bereits die den Betroffenen betreffende Messdatei ist als solche nicht Aktenbestandteil und muss auch nicht beigezogen werden.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.07.2018, 2 Ss (OWi) 197/18
Keine Verletzung der Rechte des Betroffenen bei in der Hauptverhandlung abgelehntem Antrag auf Herausgabe der sich nicht bei der Akte befindlichen Messdatei (Anschluss an OLG Bamberg, 3 Ss OWi 626/18; entgegen VerfG Saarland, Lv 1/18)