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KG Berlin, Beschluss vom 21.04.2022, 3 Ws (B) 64/22
Voraussetzungen eines Absehens von der Anordnung eines Fahrverbots beim Rotlichtverstoß / Augenblicksversagen bei “Frühstart” oder “Mietzieheffekt”
Von der Anordnung eines Fahrverbots beim Rotlichtverstoß kann abgesehen werden, wenn ein atypischer Fall vorliegt, bei dem der Erfolgsunwert verringert ist, insbesondere wenn jede konkrete Gefährdung ausgeschlossen gewesen ist oder eine Verkehrssituation vorliegt, welche die Unaufmerksamkeit des Betroffenen und seine Sorgfaltswidrigkeit im Sinne eines so genannten Augenblicksversagens in einem signifikant milderen Licht erscheinen lassen könnten.
Ein Augenblicksversagen kann bei einem “Frühstart” oder “Mitzieheffekt” vorliegen. Kein Augenblicksversagen ist anzunehmen, wenn ein ortskundiger Taxifahrer bei Dunkelheit mit unverminderter Geschwindigkeit eine bereits seit Längerem Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage überfährt, weil er diese überhaupt nicht wahrgenommen hat.
KG Berlin, Beschluss vom 14.04.2020, 3 Ws (B) 46/20
Regelfahrverbot bei qualifiziertem Rotlichtverstoß: Begriff der “Abstrakten Gefährlichkeit”
Bei dem Begriff der „abstrakten Gefahr“ handelt es sich um einen Terminus der Rechtsetzung, nicht um einen solchen der Rechtsanwendung.
Versuche, den Anwendungsbereich der Nr. 132.3 BKat mit dem Erfordernis einer konkret bestimmbaren „abstrakten Gefährlichkeit“ zu reduzieren, sind systematisch unzulässig, weil sie in die Kompetenz des Gesetzgebers, abstrakte Gefährdungsdelikte zu kodifizieren, eingreifen.
Es verbietet sich, allein unter dem Gesichtspunkt, ein Rotlichtverstoß sei nicht „abstrakt gefährlich“, vom indizierten Fahrverbot abzusehen (Aufgabe bisheriger Rechtsprechung, KG Berlin, Bes. v. 20. August 2007 – 3 Ws (B) 450/07 – 2 Ss 171/07, VRS 114, 60 (2008)).
Von dieser Bewertung bleibt das Rechtsfolgeermessen des Tatrichters unberührt. Er ist befugt und veranlasst, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre.