Die “mühelos erreichbare Werkstatt” …
Der Fall:
Der Geschädigte eines Unfalls reguliert seinen Kfz-Schaden beim gegnerischen Versicherer. Der Geschädigte legt hierzu ein Gutachten (auf Basis einer Fachwerkstatt seiner “Marke”) oder einen Kostenvoranschlag einer Markenwerkstatt vor. Der Geschädigte will aber fiktiv abrechnen, also keine Rechnung vorlegen.
Die Eckdaten:
Der Geschädigte hat kein Problem, seine kalkulierten Reparaturkosten (dann natürlich, weil eben fiktiv, ohne Mehrwertsteuer) zu bekommen, wenn das Fahrzeug nicht älter als 3 Jahre ist oder er bei einem älteren Fahrzeug nachweisen kann, dass er dieses lückenlos in einer Werkstatt seiner “Marke” gewartet hat bzw. dieses dort “betreut” wurde. Im Regelfall kann der Nachweis des Wartungsheftes hier weiterhelfen.
Das Problem:
Das Fahrzeug ist älter als 3 Jahre und das Scheckheft dokumentiert eine Wartung in freien Werkstätten. Dann kann der Versicherer kürzen und zwar auf das Niveau einer von ihm zu benennenden Referenzwerkstatt (natürlich mit anderen, weil niedrigeren Preisen, also Stundenverrechnungssätzen). Die Erfahrung zeigt, dass dann vom kalkulierten Nettobetrag zwischen 5 bis 20 Prozent eingekürzt werden und nicht zur Auszahlung gelangen.
Und was nun?
Wenn also das Wartungsheft nicht helfen kann, dann muss man sich mit den Referenzangaben des Versicherers und dem Referenzbetrieb auseinandersetzen.
Gekürzt werden darf zunächst ohnehin nur auf die Preise, die die Referenzwerkstatt tatsächlich auch allen Kunden gegenüber anbietet, also keine Konditionen, die zwischen Versicherung und Werkstatt ausgehandelt wurden bzw. auch nicht irgendwelche “mittleren ortsüblichen Stundenverrechnungssätze” (dies liest man in letzter Zeit auch wieder häufiger).
Zudem lohnt eine Überprüfung der Entfernung zwischen Wohnort und dem Werkstattbetrieb. Die Referenzwerkstatt muss nämlich für den Geschädigten “mühelos erreichbar” sein.
Was ist denn “mühelos erreichbar”?
Die Rechtsprechung hat sich in den letzten Jahren immer mal wieder zu der Entfernung geäußert. Wichtig ist, dass es immer auf die Örtlichkeiten ankommt und Unterschiede zwischen Städten, ländlichen Regionen und auch Ballungsgebieten bestehen, so dass nicht nur pauschal auf die Entfernung in km abgestellt werden darf. Allerdings geht es häufig gerade über diese Angabe der Entfernung.
Aktuell kann z.B. auf folgende Urteile verwiesen werden, so dass sich aus diesen herauskristallisiert, dass ab einer Entfernung von 20 km aufwärts gute Chancen bestehen, die Versicherung zurecht zu weisen, aber durchaus eben schon Entfernungen über 10 km hier Punkte bringen.
Die aktuelle Rechtsprechung (wird ständig von uns ergänzt):
1) BGH vom 28.04.2015 (VI ZR 267/14) = Entfernung bis zu 21 Kilometer noch zumutbar
2) AG Halle (Saale) vom 02.02.2012 (93 C 2774/10) = nicht mehr als 20 km entfernt und eine markengebundene Fachwerkstatt in geringerer Entfernung vorhanden
3) AG Solingen vom 06.12.2010 (AZ: 13 C 216/10) = 11,25 km zu weit entfernt und eine markengebundene Fachwerkstatt in geringerer Entfernung vorhanden
4) AG Friedberg (Hessen) vom 29.09.2014 (2 C 997/14 (25) = nicht mehr als 20 km entfernt
5) AG FFM vom 29.01.2016, 32 C 3096/14 (72) = 15 km Entfernung unzulässig
Und der genaue Blick lohnt!
Interessanterweise lohnt es auch, einmal die Angabe des Versicherers zur (vermeintlichen) Entfernung zur Werkstatt zu überprüfen. Auffällig ist, dass diese nämlich nicht immer stimmen (ob versehentlich oder bewusst, wollen wir mal nicht interpretieren und können es auch gar nicht). Aktuell können wir berichten, dass uns ein Versicherer im “Prüfbericht” einer vermeintlichen “Sachverständigenorganisation” eine Entfernung von “ca. 17,5 km” präsentierte, indes der kürzeste Weg tatsächlich 23,6 km ausmachte.
Ach ja, es gibt auch gewichtige Stimmen, die meinen, dass ohnehin die freie Werkstatt nicht viel weiter entfernt sein darf als die Markenwerkstatt (siehe hierzu auch die Referenzurteile).
Weitere Kürzungen vorprogrammiert:
Kürzungen und Streichungen im Bereich der Verbringungskosten, Ersatzteilzuschläge (sog. UPE-Zuschläge), Richtwinkelsätze, Entsorgungskosten, des Kleinmaterials, der Beilackierkosten, Lackierung von geschraubten Teilen im ausgebauten statt eingebauten Zustand sind ein weiteres weites Feld und die Verteidigungsstrategien sowie Ansätze vielschichtig. Sollten Sie hierzu Fragen haben oder Hilfe benötigen, lassen Sie es uns wissen.