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Durch die Rechsprechung im Unfallschadenbereich geistert immer und immer wieder der Begriff des “Idealfahrers” (und damit auch natürlich der “Idealfahrerin“). Um sich dem Begriff aber zu nähern, macht nach unserer Auffassung am meisten Sinn, einen Blick in markante Urteile zu “wagen” und damit starten wir dann unsere (neue) Sammlung aus Urteilen gerade zu diesem Thema. Also dann, ran an den “Idealfahrer” …
OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2021, 7 U 21/20
Der Fahrer muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben. Hierzu gehört ein Fahrverhalten, das in der konkreten Verkehrssituation alle möglichen Gefahrmomente sowie auch fremde Fahrfehler in Rechnung stellt und berücksichtigt. Notwendig ist daher eine über den gewöhnlichen Fahrerdurchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht und ein über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinausreichendes geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln. Ein „Idealfahrer“ hält nicht nur alle Verkehrsvorschriften ein. Er stellt seine Fahrweise vielmehr auch von vornherein darauf ein, Gefahrsituationen nach Möglichkeit zu vermeiden.
Quelle → VOLLTEXT / OLG HAMM / 21.12.2021 / 7 U 21/20
OLG Hamm, Beschluss vom 08.03.2022, 9 U 157/21
Nicht nur der Idealfahrer, sondern auch der schuldlos in einen von der Gegenseite grob fahrlässig verursachten Unfall beratene hat für die Unfallfolgen nicht zu haften.
OLG Schleswig, Urteil vom 04.01.2018, 7 U 146/15
Der “Idealfahrer” und das unabwendbares Ereignis bei reflexhaftem Ausweichen vor einem schleudernden Fahrzeug
Zwar bedeutet Unabwendbarkeit nicht absolute Unvermeidbarkeit eines Unfalles; aber derjenige, der sich auf Unabwendbarkeit beruft, muss jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtet haben, wobei letztlich nicht nur zu fragen ist, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat, sondern es ist auch zu prüfen, ob der Idealfahrer überhaupt in diese Gefahrenlage gekommen wäre. Denn er berücksichtigt auch Erkenntnisse, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Dabei trägt die Beweislast für die Unabwendbarkeit im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG derjenige, der sich darauf beruft.
Zwar schließt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein reflexhaftes Fahrverhalten – insbesondere ein Ausweichen – die Unabwendbarkeit nicht aus, da ein solches Ausweichen unter Umständen nicht als „Fahrfehler“ gewertet werden kann (vgl. BGH VI ZR 136/85, Urteil vom 23.09.1986, noch zu § 7 Abs. 2 StVG a. F.; so auch OLG Hamm, NJW-RR 1997, S. 24 f.). Aber auch ein sonstiges Fehlverhalten darf sich nicht unfallkausal ausgewirkt haben. Die Prüfung der Unabwendbarkeit i. S. v. § 17 Abs. 3 StVG darf sich nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre, denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (BGH, Urteil vom 13.12.2005, VersR 2006, 369 – 373).
Und zum “Idealfahrer” sowie “unabwendbaren Ereignis” auch:
OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005, 12 U 1236/04
Der Begriff des unabwendbaren Ereignisses im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG verlangt eine sich am Schutzzweck der Gefährdungshaftung für den Kraftfahrzeugbetrieb ausrichtende Wertung (vgl. BGHZ 105, 65, 69; 117, 337, 341). Diese Wertung hat unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrsumstände zu erfolgen. Dabei darf sich die Prüfung nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein “Idealfahrer” reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein “Idealfahrer” überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. Der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr – zu spät – “ideal” verhält (BGHZ 117, 337, 341).
BGH, Urteil vom 18.01.2005 – VI ZR 115/04
Der Begriff “unabwendbares Ereignis” im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG a.F.
meint nicht absolute Unvermeidbarkeit des Unfalls, sondern ein schadenstiftendes Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (vgl. Senatsurteile BGHZ 117, 337, 340 und vom 23. September 1986 – VI ZR 136/85 – VersR 1987, 158, 159 m.w.N.; BGHZ 113, 164, 165).
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist der Schädiger
nach dem Zweck des § 7 Abs. 2 StVG a.F. von Schäden freizustellen, die sich
auch bei vorsichtigem Vorgehen nicht vermeiden lassen (vgl. Senatsurteil BGHZ 105, 65, 69).
OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.2021 – 7 U 16/20
Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt, die insbesondere die Einhaltung der geltenden Verkehrsvorschriften beinhaltet, nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. “Idealfahrers” (Senat, Urteil vom 03.06.2016 – 7 U 14/16 – juris; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 17 StVG, Rn. 22 m.w.N.). Zur äußersten Sorgfalt gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente. Den Beweis der Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens muss jeweils die Partei führen, die sich darauf beruft (König, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 23).
Die Prüfung der Unabwendbarkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darf sich nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat, sondern ist auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein Idealfahrer überhaupt in die konkrete Gefahrenlage geraten wäre. Denn ein Unfall, der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelt, wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr – zu spät – ideal verhält (BGH, Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, NJW 2006, 896 Rn. 21; OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.03.2020 – 1 U 101/19 – juris Rn. 29).
OLG Bremen, Urteil vom 13.02.2001, 3 U 53/2000
Keine Unabwendbarkeit des Unfalls bei (erheblicher) Geschwindigkeitsüberschreitung / “Idealfahrer”
Ein Kraftfahrer, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 20 – 30% (hier mindestens 65 km/h statt zugelassener 50 km/h) überschreitet, kann sich in der Regel nicht darauf berufen, dass der Unfall für ihn unabwendbar gewesen ist.
Mit dieser Fahrweise entspricht er nicht dem Bild des „Idealfahrers”, der in seiner Fahrweise Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden.
OLG Koblenz, Urteil vom 14.10.2013, 12 U 313/13
Haftungsverteilung bei Kfz-Unfall: Erhöhte Betriebsgefahr wegen Überschreitung der Autobahnrichtgeschwindigkeit bei Kollision mit Fahrstreifenwechsler (hier 200 km/h bei Dunkelheit)
Bei der gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge bei der Kollision eines bei Dunkelheit von hinten auf dem linken Fahrstreifen der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h herannahenden Kraftfahrzeugs mit einem beim Überholvorgang auf den linken Fahrstreifen wechselnden Fahrzeug tritt die Haftung des auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Fahrzeugs aus der Betriebsgefahr nicht vollständig hinter dem Verschulden des Fahrstreifenwechslers zurück. Vielmehr ist von einer deutlich erhöhten Betriebsgefahr auszugehen, die daraus resultiert, dass das Fahrzeug die Richtgeschwindigkeit um rund 60 % überschritten und dadurch ein erhebliches Gefahrenpotential geschaffen hat. Es ist eine Mithaftung des von hinten herannahenden Fahrzeugs in Höhe von 40% anzusetzen.
Ein “Ideal-Fahrer” fährt aber nicht schneller als die Richtgeschwindigkeit (so auch bereits BGHZ 117, 337; OLG Nürnberg in VersR 2011, 135; OLG Hamm, Urteil vom 25.11.2010, 6 U 71/10, zitiert nach juris; OLG Koblenz, Urteil vom 08.01.2007, 12 U 1181/05, zitiert nach juris). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der, die Richtgeschwindigkeit überschreitende Fahrer nachweist, dass der Unfall für ihn auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h nicht zu vermeiden gewesen wäre (so u. a. BGH in VersR 1992, 714; OLG Nürnberg in VersR 2011, 135).
OLG München, Urteil v. 05.05.2017 – 10 U 1750/15
Zum ersten folgt aus der Überlegung, die Beklagte zu 1) habe „nahezu wie ein Idealfahrer reagiert“, denkgesetzlich zwingend, dass sie eben nicht wie ein Idealfahrer reagiert habe.
Zum zweiten werden die Anforderungen an den in § 17 III StVG bestimmten Idealfahrer nicht allein durch das Reaktionsverhalten bestimmt, insbesondere scheitert eine Entlastung zusätzlich schon deswegen, weil ein solcher Idealfahrer überhaupt nicht in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (OLG Nürnberg, Urt. v. 09.09.2010 – 13 U 712/10 [juris]). Ein umfassend sorgfältiger und vorsichtiger Fahrer hatte bei gleichen Verkehrsumständen eine geringere Geschwindigkeit gewählt, den linken Fahrbahnrand besser beobachtet und ständige Reaktions- und Bremsbereitschaft sichergestellt.
Zum dritten kann eine nicht näher bestimmte „sehr frühe Reaktion“ der Beklagten zu 1) nur unterstellt werden, wenn zu ihren Gunsten von einer Blickzuwendungszeit von 0,7 Sekunden (zuzüglich zur Reaktionszeit von 0,8 Sekunden) ausgegangen wird, was aber angesichts der gültigen Beweislastverteilung nicht statthaft ist. Zuletzt übersieht das Landgericht, dass sich bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 30 km/h unter Annahme der für die Klägerin günstigen Werte eine zeitmäßige Vermeidbarkeit errechnet hätte.
OLG Celle, Urteil vom 20.01.2016, 14 U 128/13
Haftungsabwägung zwischen der Betriebsgefahr eines Pkw und der Tiergefahr eines geführten Pferdes
Ein sog. Idealfahrer hätte bedacht, dass ein an der Hand geführtes Pferd, das sich am Wegesrand eines Feldes, das mit einem Pkw befahren werden soll, oder in dessen Nähe aufhält, erschrecken könnte. Ein solcher Fahrer hätte sich dem Tier und den es festhaltenden Menschen vorsichtig, d. h. mit deutlich reduzierter Geschwindigkeit genähert, und hätte bestenfalls sogar in ausreichendem Abstand angehalten, um sich mit dem Menschen zu verständigen, ob er das Feld für das Pferd gefahrlos befahren darf.
Quelle → VOLLTEXT / OLG CELLE / 20.01.2016 / 14 U 128/13
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LG Dortmund, Urteil vom 22.08.2017, 1 S 388/16 → VOLLTEXT