OLG Naumburg, Urteil vom 11.10.2010, 10 U 25/09
Haftung des Halters eines auf einer Gartenparty frei herumlaufenden Hundes
Ein Tierhalter, der auf einer Gartenparty seinen Hund frei herumlaufen lässt, muss davon ausgehen, dass dieser von den Gästen als gänzlich ungefährlich angesehen wird und sich gegebenenfalls auch im Umgang mit Hunden nicht erfahrene Gäste dem Tier annähern. Eine schuldlose Mitverursachung durch den Geschädigten wird im Rahmen der Gefährdungshaftung nicht berücksichtigt. Für ein Mitverschulden muss der Geschädigte gegen Gebote des eigenen Interesses vorwerfbar verstoßen haben (hier verneint).
Bei einem Hund ergibt sich nicht von vornherein die Nutztiereigenschaft, auch nicht wenn er als Wachhund ausgebildet und angeschafft worden ist. Vielmehr kommt es darauf an, welchem Zweck er objektiv dienstbar gemacht worden ist.
OLG Schleswig, Urteil vom 21.06.2007 – 7 U 50/06
Tierhüter, Inhaber einer Reitbeteiligung, Tierhalterhaftung, Schadensverursachung im Rahmen einer Reitbeteiligung
Der Inhaber einer Reitbeteiligung ist für die Zeit der Überlassung des Pferdes an ihn Tierhüter und nicht Tierhalter.
Anforderungen an den jeweiligen Entlastungsbeweis des Tierhalters und des Tierhüters, wenn im Rahmen einer Reitbeteiligung ein Schaden verursacht wird.
BGH, Beschluss vom 27.08.2019, VI ZR 460/17
Richter missversteht den Vortrag einer Partei – und was nun?
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.11.2019, 1 OLG 2 Ss 77/19
Der Umstand, dass ein im privaten Eigentum stehende und als Privatparkplatz gekennzeichnete Verkehrsfläche aufgrund eines Defektes an der Schrankenanlage „faktisch für die Öffentlichkeit zugänglich“ ist und dies vom Verfügungsberechtigten geduldet wird, genügt zur Begründung der für eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erforderliche Öffentlichkeit der Verkehrsfläche insbesondere dann nicht, wenn die einzelnen Stellplätze vermietet sind.
Aus den Gründen:
Die Zugehörigkeit einer Fläche zum öffentlichen Verkehrsraum steht eine eindeutige, äußerlich manifestierte Handlung des Verfügungsberechtigten, die unmissverständlich erkennbar macht, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird, entgegen (BGH Beschluss vom 30.01.2013 – 4 StR 527/12, NStZ 2013, 530). Wiederum dem Schutzzweck der Norm entsprechend ist für die Frage, ob eine Duldung des Verfügungsberechtigten vorliegt, nicht auf dessen inneren Willen, sondern maßgeblich auf die für etwaige Benutzer erkennbaren äußeren Umstände abzustellen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.11.1987 – 2 Ss 413/87, NJW 1988, 922; OLG Hamm aaO.).
Die nur gelegentliche (Mit-)Benutzung einer als Privatparkplatz gekennzeichneten Verkehrsfläche durch Unbefugte vermag an der „Nicht-Öffentlichkeit“ ebenso wenig etwas zu ändern, wie die Aufstellung amtlicher Verkehrszeichen auf einem Privatgelände (OLG Rostock, Urteil vom 28. November 2003 – 1 Ss 131/03 I 79/03, juris Rn. 11 mwN.). Selbst das Fehlen von Absperrmaßnahmen rechtfertigt nicht stets die Annahme, eine deutlich von öffentlichen Wegen abgegrenzte private Fläche stehe der Allgemeinheit uneingeschränkt zur Verfügung (Blum aaO., 368). Anderes gilt nur, wenn die Verkehrsfläche trotz vorhandener Hinweise auf eine Nutzungsbeschränkung durch entgegengesetzte längere Übung praktisch jedermann zugänglich und dies nach außen hin auch erkennbar geworden ist (Geppert aaO. § 142, Rn. 14). Entscheidend ist also, ob die vom Verfügungsberechtigten geduldete Mitnutzung durch Unberechtigte lediglich gelegentlich stattfindet oder ob die Nutzung aufgrund längerer Übung praktisch durch jedermann erfolgte und es sich quasi „eingebürgert“ hatte, dass die Parkfläche entgegen ihrer Kennzeichnung als Privatparkplatz auch durch einen größeren unbestimmten Personenkreis in Gebrauch genommen wird (Blum aaO.).
OLG München, Urteil vom 20.12.2019, 10 U 3110/17
Sturz eines Fahrgastes beim Anfahren eines Linienbusses
Der Fahrer eines Linienbusses, der seinen Fahrplan einzuhalten hat, darf darauf vertrauen, dass die Fahrgäste ihrer Verpflichtung, sich stets einen festen Halt zu verschaffen, nachkommen. Es ist allein Sache des Fahrgastes, für einen sicheren Halt zu sorgen und so eine Sturzgefahr zu vermeiden.
Der Busfahrer braucht sich selbst vor dem Anfahrvorgang nur dann zu vergewissern, ob ein Fahrgast Platz oder Halt im Wagen gefunden hat, wenn eine erkennbare schwere Behinderung des Fahrgastes ihm die Überlegung aufdrängte, dass dieser andernfalls beim Anfahren stürzen werde.
Ein Fahrgast muss damit rechnen, dass bei der Fahrt ruckartige Bewegungen des Verkehrsmittels auftreten können, die seine Standsicherheit beeinträchtigen. Er ist deshalb selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen einer Straßenbahn oder eines Linienbusses nicht zu Fall kommt und muss sich gegen plötzliche Bewegungen Absicherung verschaffen. Der Fahrgast muss in diesem Zusammenhang durchaus auch jederzeit mit einem scharfen Bremsen des Verkehrsmittels rechnen.
OVG Koblenz, Beschluss vom 02.04.2020, 2 A 11539/19.OVG
Kein Anspruch eines Lehrers auf Beseitigung von Fotos aus Schuljahrbuch
Ein Lehrer, der sich bei einem Fototermin in der Schule freiwillig mit Schulklassen hat ablichten lassen, hat keinen Anspruch auf Entfernung der im Jahrbuch der Schule veröffentlichten Bilder.
Nach dem Kunsturhebergesetz bedürfe es keiner Einwilligung in die Veröffentlichung der Fotos im Jahrbuch der Schule, weil diese Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte seien. Dies ergebe sich aus der dafür erforderlichen Abwägung der wechselseitigen Interessen. Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe auch bei Veranstaltungen von regionaler oder lokaler Bedeutung. Eine solche Bedeutung hätten die Jahrbücher mit den Klassenfotos für die Angehörigen der Schule. Demgegenüber seien die Rechte des Klägers nur geringfügig beeinträchtigt worden. Er sei im dienstlichen Bereich in einer völlig unverfänglichen, gestellten Situation aufgenommen worden und die Bilder seien in keiner Weise unvorteilhaft oder ehrverletzend. Selbst wenn eine Einwilligung erforderlich gewesen sein sollte, wäre diese aber auch zumindest konkludent erteilt worden, weil der Kläger sich mit den beiden Schülergruppen habe ablichten lassen. Er habe gewusst oder jedenfalls wissen müssen, dass die Schule derartige Klassenfotos bereits in der Vergangenheit für Jahrbücher verwendet habe. Es stelle ein widersprüchliches Verhalten dar, die Veröffentlichung von Fotos einerseits strikt abzulehnen und sich andererseits auf Fotos ablichten zu lassen, die offensichtlich dem Zweck der Veröffentlichung dienten.
Quelle: OVG Koblenz Schuljahrbuch und Lehrerfoto
LG München II, Urteil vom 09.04.2020 – 10 O 3894/17
Radmuttern nach einer Fahrstrecke von 50 km prüfen – Mitverschulden bei Rad”verlust”
Löst sich nach einem Reifenwechsel das Hinterrad an einem Fahrzeug, weil die Werkstatt die Radschauben nicht ordnungsgemäß angezogen hat, muss sich der Kunde dennoch ein Mitverschulden von 30% anrechnen lassen, wenn er den ausdrücklichen Hinweis der Werkstatt, die Schrauben nach 50 km nachzuziehen, nicht befolgt hat.
Quelle: Mitteilung aus BeckRS 2020, 5677
OLG Zweibrücken vom 11.11.2019, 1 OLG 2 Ss 77/19
(Privat)parkplatz als öffentlicher oder nicht öffentlicher Verkehrsraum – das ist hier die Frage
Der Umstand, dass ein im privaten Eigentum stehende und als Privatparkplatz gekennzeichnete Verkehrsfläche aufgrund eines Defektes an der Schrankenanlage „faktisch für die Öffentlichkeit zugänglich“ ist und dies vom Verfügungsberechtigten geduldet wird, genügt zur Begründung der für eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erforderlichen Öffentlichkeit der Verkehrsfläche insbesondere dann nicht, wenn die einzelnen Stellplätze vermietet sind.
BSG, Urteil vom 30.1.2020,B 2 U 19/18 R
Kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz auf dem Weg vom Homeoffice zur Kita
Wenn ein im Homeoffice beschäftigter Arbeitnehmer sein Kind von zu Hause in die Kita bringt und dabei einen Unfall erleidet, liegt kein versicherter Arbeitsunfall i. S. d. § 8 SGB VII vor.
Quelle: ArbRAktuell 2020, 96, beck-online
BSG, Urteil vom 27.11.2018, B 2 U 28/17 R
(Möglicher) Versicherungsschutz im Home-Office („Betriebsweg“)
Der Versicherungsschutz gemäß § 8 SGB VII umfasst auch Unfallereignisse auf Wegen innerhalb des häuslichen Bereichs, wenn der Beschäftigte diesen Weg aus betrieblichen Gründen zurücklegt.
Hinweis:
Aber der Gang in die Küche oder den HWR zum Getränkeholen ist wiederum aus dem Versicherungsschutz “raus”, ebenso der Gang zur Toilette, auf den Balkon zum Luftholen oder für die Zigarette.
Quelle: FD-SozVR 2019, 415582, beck-online
BVerfG, Beschluss vom 20.02.2020 – 1 BvR 1975/18
Verfahrenskostenhilfe auch bei lückenhaft ausgefülltem Antrag
Prozesskostenhilfe (PKH) und Verfahrenskostenhilfe (VKH) dürfen nicht abgelehnt werden, wenn zwar das Antragsformular lückenhaft ausgefüllt ist, die Lücken aber durch beigefügte Unterlagen geschlossen werden. Gleiches gilt für eine Bezugnahme auf Erklärungen in einem früheren Rechtszug, wenn dabei klargestellt wird, dass sich die Verhältnisse nicht verändert haben.
OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.07.2020, 11 LA 104/19
Bei der Übermittlung von personenbezogenen Daten per Fax muss die Behörde zur Gewährleistung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen Sicherungsvorkehrungen treffen. Welches Schutzniveau dabei einzuhalten ist, richtet sich nach der Sensibilität und Bedeutung der zu übermittelnden Daten, den potentiellen Gefahren bei der Faxübermittlung, dem Grad der Schutzbedürftigkeit des Betroffenen und dem mit den Sicherungsmaßnahmen verbundenen Aufwand.
BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 28/20
Grunddienstbarkeit und ein Gehrecht umfasst auch Fahrrecht
Das durch eine Grunddienstbarkeit gesicherte Recht, ein Grundstück „als Übergang zu benutzen“ berechtigt auch dazu, dieses mit einem Kraftfahrzeug zu überqueren; etwas anderes gilt nur dann, wenn sich eine Beschränkung in eindeutiger Weise aus den bei der Auslegung der Grundbucheintragung berücksichtigungsfähigen Umstände ergibt.
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.08.2020, L 11 VG 7/20
Vertrauen auf Postbeförderungszeiten im Normalfall – Aufgabe eines Einschreibens an einem Sonntag – Brieftransport während der Corona-Pandemie
Bedient sich ein Beteiligter der Deutschen Post AG, so darf er regelmäßig darauf vertrauen, dass diese die von ihr für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten einhält. Bei normalen Postlaufzeiten darf nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich mit einem Eingang am folgenden Werktag nach der Aufgabe zur Post gerechnet werden.
… müssen die Unternehmen, die Universaldienstleistungen im Briefverkehr anbieten, sicherstellen, dass sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80 Prozent am ersten und zu 95 Prozent bis zum zweiten auf die Einlieferung folgenden Werktag ausliefern. Wer seine Postsendung an einem Sonntag aufgibt, kann sich auf diese Regelung nicht verlassen.
Ob auch im Fall eines Einschreibens grundsätzlich mit einem Eingang am folgenden Werktag nach der Aufgabe zur Post gerechnet werden darf, kann hier dahinstehen.
Berichte über einen unzuverlässigen Brieftransport während oder aufgrund der Corona-Pandemie gab es offenbar nicht. Beteiligte konnten demnach auf normale Postbeförderungszeiten auch in Zeiten von Corona vertrauen.
Um eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist aus gesundheitlichen Gründen begründen zu können, muss eine Erkrankung so schwer sein, dass der Beteiligte selbst nicht handeln kann und auch zur Beauftragung eines Dritten nicht in der Lage ist.
Quelle → Volltext → LSG BB L 11 VG 7/20