Nachdem vielerorts von vielen Kommentatoren Aufsätze und Einschätzungen zur rechtlichen Situation bei der Inanspruchnahme der Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie veröffentlicht wurden, wollen wir uns darauf reduzieren, unter diesem Beitrag die Entscheidungen zusammen zu fassen, die nun schon bekannt sind bzw. die zur Entscheidung anstehen.
Gern geben wir Ihnen eine Einschätzung der jeweiligen Situation im Einzelfall und unter Berücksichtigung der sich entwickelnden Rechtsprechung, wenn Sie uns hierauf ansprechen.
Da die ersten Verfahren nun mit veröffentlichten Entscheidungen abgeschlossen sind, wollen wir diese nun hier veröffentlichen, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu geben. Herauskristallisiert haben sich im Prinzip 4 “Gruppen” von immer wiederkehrenden Formulierungen, die wie folgt zusammengefasst werden können:
(1) Tabellarische Bezeichnung von Krankheiten und Krankheitserregern, vorangestellt ist in der Klausel das Wörtchen “nur”
(2) Tabellarische Bezeichnung von Krankheiten und Krankheitserregern, vorangestellt ist in der Klausel das Wörtchen “namentlich”
(3) Tabellarische Bezeichnung von Krankheiten und Krankheitserregern (ohne “nur” / ohne “namentlich”) mit dem Verweis auf die §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes
(4) Keine Bezeichnung von Krankheiten und Krankheitserregern und nur Verweis auf das Infektionsschutzgesetz, dort die §§ 6 und 7 (es handelt sich allerdings um eine eher sehr selten verwendete Klausel)
Und los geht es mit dem bunten Reigen:
OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020, 20 W 21/20
Verspricht eine Betriebsschließungsversicherung Deckungsschutz für „nur die im Folgenden aufgeführten (vgl. §§ 6 und 7 IfSG)“ Krankheiten und Krankheitserreger, wobei Covid-19 und Sars-Cov-2 (auch sinngemäß) nicht genannt sind, besteht kein Versicherungsschutz bei Betriebsschließungen wegen des neuartigen Corona-Virus. Der Klammerzusatz („vgl. §§ 6 und 7 IfSG“) führt bei diesem Wortlaut nicht etwa zu einer Auslegung dahin, dass „dynamisch“ (auch) auf spätere Änderungen des Infektionsschutzgesetzes verwiesen werde.
Quelle: OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020, 20 W 21/20
LG Mannheim, Urteil vom 29.4.2020, 11 O 66/20
Die Kammer ist … der Ansicht, dass der Verfügungsklägerin aus den zwischen den Parteien bestehenden Betriebsunterbrechungsversicherungen jeweils ein Anspruch auf die vereinbarte Versicherungsleistung zusteht. Es liegt eine bedingungsgemäß versicherte faktische Betriebsschließung vor.
Anmerkung: Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz / Antrag allerdings unbegründet, weil es an einer ausreichenden Glaubhaftmachung der Anspruchshöhe des Verfügungsanspruchs sowie an einem Verfügungsgrund mangelt
Quelle: LG Mannheim, Urteil vom 29.4.2020, 11 O 66/20
LG München I, Endurteil v. 01.10.2020 – 12 O 5895/20
Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung vor dem Hintergrund der Corona-Krise
Folgende Klausel war verfahrensgegenständlich:
… die folgenden der in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger nach Fassung des Gesetzes vom 20.07.2000.
Aus den Gründen (Schlagworte):
Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für 30 Schließtage gemäß Teil B § 1 Ziffer 1 lit a) i.V.m. § 2 Ziffer 1 lit. a) der … der Beklagten zu.
Es handelte sich um eine Maßnahme zur Bekämpfung der Corona – Pandemie. Die Maßnahme wurde in der Allgemeinverfügung und den nachfolgenden Verordnungen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege auf Vorschriften des IfSG gestützt, nämlich auf § 28 beziehungsweise § 32 IfSG i.V.m. der Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30.01.2020, mit der die Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 des IfSG auf das neuartige Coronavirus ausgedehnt wurde (BAnz AT 31.01.2020 V1).
Nach dem Wortlaut der Bedingungen ist nicht erforderlich, dass der Betrieb selbst betroffen sein muss. Die Maßnahme muss lediglich aufgrund des IfSG erlassen worden sein.
Bei der Frage, ob ein Betrieb tatsächlich mindestens als faktisch geschlossen anzusehen ist, weil ein Weiterbetrieb unter den noch zulässigen Umständen unzumutbar ist (vgl. LG Mannheim, Urteil vom 29.04.2020, Az.: 11 O 66/20, Quelle: juris Rn. 36), wird man unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belange der Beteiligten und des Grundsatzes von Treu und Glauben von Fall zu Fall entscheiden müssen: Ist ein Gastronomiebetrieb rein auf die Bewirtung von Gästen vor Ort ausgelegt und stellt ein möglicher Außerhausverkauf lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft dar, das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auf keinen Fall fortgeführt werden kann, läge nach § 242 BGB ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung vor, wenn die beklagte Versicherung sich darauf berufen würde, dass dieser Bereich des Geschäftsbetriebs trotz der Verordnungen fortzuführen gewesen wäre. Auf einen Außerhausverkauf, der insoweit keine unternehmerische Alternative darstellt, muss sich der Kläger dann nicht verweisen lassen (vgl. Rixecker in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 67).
Eine Einschränkung des Versicherungsumfangs durch Teil B § 1 Ziffer 2 … und die dort aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern besteht nicht.
Dies ergibt sich bereits aus der vertraglichen Vereinbarung der Parteien. Außerdem verstößt die Klausel gegen das sich aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebende Transparenzgebot und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Quelle (Volltext): LG München I – Urteil v. 01.10.2020 – 12 O 5895/20
LG München I, Urteil v. 22.10.2020 – 12 O 5868/20
Hier zur Klausel:
… Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne
dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in
den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und
Krankheitserreger …
Entscheidung:
Das LG München I erkennt den Anspruch “überwiegend” zu.
Kurz aus den Gründen:
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird dem Wortlaut der Bestimmung entnehmen, dass die Aufzählung die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach dem IfSG wiedergibt. Einen Hinweis darauf, dass im IfSG etwas enthalten sein könnte, was in
dieser Liste nicht wiedergegeben ist, befindet sich weder an dieser, noch an anderer Stelle in den Bedingungen der Beklagten. Allein die Überschrift oder den Wortlaut „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden […]“ muss der
Versicherungsnehmer nicht als Einschränkung des Versicherungsumfangs verstehen. Aufgrund der (werbenden) Länge der sich anschließenden Liste und der damit suggerierten Vollständigkeit ist es für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht naheliegend, dass die Klausel einen einschränkenden Versicherungsumfang formuliert und insoweit negative
Abweichungen gegenüber dem maßgeblich in Bezug genommenen IfSG bestehen.
Eine klare und deutliche Formulierung wie zum Beispiel „nur die folgenden“, „ausschließlich die folgenden“ oder „diese Auflistung ist abschließend“ enthält die Klausel nicht. Vielmehr kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer aufgrund des Wortlauts
und der Verweisung in § 1 Ziffer 1 erwarten, dass eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgt. „Namentlich genannt“ wird der Versicherungsnehmer, welcher nicht über Spezialkenntnisse zum IfSG (§ 9 IfSG sowie §§ 6 Abs. 1 Nr. 5, 7 Abs. 2 IfSG) verfügt, dahingehend verstehen, dass es sich hierbei um die vom IfSG benannte Krankheiten und Krankheitserreger handelt.
Quelle (Volltext): LG München I – Urteil v. 22.10.2020 – 12 O 5868/20
LG Essen, Urteil vom 21.10.2020, 18 O 167/20
Keine Entschädigung wegen einer coronabedingten Betriebsschließung, da die in Frage stehende Klausel in den vereinbarten AVB:
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die nachfolgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: …
abschließend und wirksam sei.
LG Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020 – 13 O 2068/20
Verspricht der Versicherer in der Betriebsschließungsversicherung Deckungsschutz für die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger und folgt darauf eine Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger, in der die Begriffe Corona, COVID 19 oder Sars-Cov2 nicht genannt sind, besteht kein Versicherungsschutz bei Betriebsschließungen aufgrund der Corona-Pandemie.Folgende Klausel stand hier zur Disposition:… Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: …
Quelle: beck-Verlag / BeckRS 2020, 26806
LG Stuttgart, Urteil vom 30.09.2020 – 16 O 305/20
In einer Betriebsschließungsversicherung, in der Deckungsschutz ausdrücklich «nur [für] die im Folgenden aufgeführten» meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger vereinbart ist, ohne dass dort COVID-19 oder Sars-Cov2 genannt werden, besteht kein Versicherungsschutz bei Betriebsschließungen aufgrund der Corona-Pandemie.
Quelle: beck-Online / BeckRS 2020, 27059
LG Bochum, Urteil vom 15. Juli 2020, 4 O 215/20, u.a. aus VersR 2020, 1104
Beinhaltet eine Klausel einer Betriebsschließungsversicherung eine
enumerative Auflistung der einzelnen Krankheiten und
Krankheitserreger, auf die sich der Versicherungsschutz beziehen soll und
enthält der Einleitungssatz mit dem Wort “nur” eine ausdrückliche Erklärung, wonach nur die im Folgenden aufgeführten meldepflichtige
Krankheiten oder meldepflichtigen Krankheitserreger solche im
Sinne dieses Vertrages sind, so besteht kein Versicherungsschutz bei
einer Betriebsschließung wegen des neuartigen, zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses noch nicht bekannten Corona-
Virus.
LG Bayreuth, Urteil vom 15.10.2020 – 22 O 207/20
Wortlaut der dem Fall zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen:
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
… Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: …
Leitsätze:
Bestimmt sich der Versicherungsumfang einer Betriebsschließungs-versicherung nach Allgemeinen Versicherungsbedingungen, nach welchen der Versicherungsfall vom Vorliegen bestimmter, im Einzelnen namentlich aufgelisteter Krankheiten und Krankheitserreger abhängt, so besteht wegen des grundsätzlich abschließenden Charakters der namentlichen Auflistung für nicht genannte Krankheiten und Krankheitserreger – hier Covid-19 bzw. SARS-CoV-2 – kein Versicherungsschutz.
Die Inbezugnahme von Normen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu Betriebsschließungs-versicherungen ist in Ermangelung entgegenstehender, eindeutiger Anhaltspunkte rein referenzieller Natur und kann nicht als dynamische Verweisung auf den Gesetzesumfang des IfSG in der jeweils gültigen Fassung angesehen werden.
Eine erweiternde oder analoge Anwendung abschließend formulierter Allgemeiner Versicherungbedingungen auf neuartige Infektionsgeschehen ist unzulässig.
Mittlerweile gibt es auch die ersten Verfahren und Entscheidungen wegen einer Inanspruchnahme auf Entschädigung des “Staates”
LG Berlin, Urteil vom 13.10.2020, 2 O 247/20
Entschädigungsanspruch – Keine finanzielle Entschädigung für Gastwirt wegen coronabedingter Schließung seiner Kneipe gegenüber das Land Berlin
Das LG Berlin hat entschieden, dass ein Gastwirt gegen das Land Berlin keinen Anspruch auf finanzielle Entschädigung wegen der coronabedingten Schließung seiner in Berlin betriebenen Kneipe geltend machen kann.
Der Kläger hat dazu vorgetragen, ihm seien aufgrund von Maßnahmen des Landes Berlin nach dem Infektionsschutzgesetz und der “Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 in Berlin” in Bezug auf die allgemeinen Einschränkungen bzw. Beschränkungen des Gaststättenbetriebes Gewinne entgangen. Der Kläger hat das Land Berlin dafür mit der vorliegenden Klage auf Zahlung eines Teilbetrages in Höhe von 5.001 Euro in Anspruch genommen.
Das LG Berlin hat die Klage abgewiesen.
Nach Auffassung des Landgerichts hat der Kläger unter keinem rechtlichen oder tatsächlichen Aspekt einen Entschädigungsanspruch gegen das Land Berlin. Die Anordnung der Schließung von Gaststätten sei rechtmäßig gewesen. Die mit der Schließungsanordnung verbundene Einschränkung der Gaststättenbetreiber, über einen Außer-Haus-Verkauf hinaus Verkäufe tätigen zu können, sei unter besonderer Berücksichtigung der damaligen Erkenntnislage durch den damaligen “Lock-Down” veranlasst und als verhältnismäßig anzusehen.
Zwar sei es grundsätzlich möglich, Gaststättenbetreibern auch für die Folgen einer rechtmäßigen Gaststättenschließung eine Entschädigung zu zahlen, wenn die erlittenen Beeinträchtigungen als sog. unzumutbares “Sonderopfer” anzusehen wären. Im konkreten Fall seien aber die durch die vorübergehende Gaststättenschließung im Zeitraum vom 14.03.2020 bzw. 23.03.2020 bis zum 09.05.2020 erlittenen Nachteile regelmäßig nicht als ein solches unzumutbares Sonderopfer anzusehen und würden sich im Bereich eines tragbaren allgemeinen Lebens- und Unternehmerrisikos bewegen.
Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig; es kann dagegen Berufung beim KG innerhalb von einem Monat nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe eingelegt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten muss auf die schriftlichen Urteilsgründe verwiesen werden.
Quelle: Pressemitteilung Berlin
LG Düsseldorf, Urteil vom 19.02.2021, 40 O 53/20
Begrenzung auf bereits im IfSG genannte Erreger benachteiligt den VN unangemessen
Maßgeblich war folgende Klausel in den Versicherungsbedingungen:
“Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger:”. Bei den aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern ist das Virus SARS-CoV2 nicht aufgeführt.
Versicherungsschutz bestehe, auch wenn zum Zeitpunkt der Allgemeinverfügung vom 18.03.2020 naturgemäß der Erreger SARS-CoV2 noch nicht in der Liste der im Infektionsschutzgesetz aufgeführten Krankheiten aufgenommen war. Die Klausel in den Versicherungsbedingungen, die den Versicherungsfall auf die im alten Infektionsschutzgesetz ausdrücklich aufgeführten Erreger beschränke, sei unangemessen benachteiligend und deshalb nach § 307 BGB unwirksam. Auch gegenüber einem Kaufmann habe die Versicherung nicht ausreichend klar herausgestellt, dass der Versicherungsschutz für neu entstehende Krankheiten ausgeschlossen sei.
Quelle: Pressemitteilung des LG Düsseldorf 4/2021 vom 19.02.2021
Hinweis (Stand 25.02.2021) → Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.