Was geht eigentlich noch, wenn nach einem Unfall der gegnerische Versicherer bereits einen Gutachter von sich aus beauftragt… kann der Geschädigte dann doch noch seinen Gutachter hinzuziehen?
Diese Frage stellt sich in letzter Zeit häufiger, nachdem die Versicherer alles versuchen, um den Schadenfall im eigenen Sinne “in den Griff zu bekommen” und bestenfalls in die Ansprüche des Geschädigten einzugreifen.
Das Amtsgericht Hamburg hat in einer Entscheidung vom 30.03.2016 (Aktenzeichen 33a C 336/15) aber klipp und klar entschieden (und dabei verschiedene Facetten sehr genau beleuchtet):
1.
Bei Kfz-Unfällen hat ein Geschädigter das Recht, einen Sachverständigen hinzuzuziehen
2.
Dies gilt auch, wenn bereits der Schädiger einen Sachverständigen beauftragt hat.
Und das LG Bamberg bestätigt dies nun im Jahre 2017 – Urteil vom 13.4.2017, AZ: 3 S 88/16 -noch einmal wie folgt:
1.
Holt der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall ein Schadensgutachten (“Zweitgutachten”) ein, obwohl bereits ein vom Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer erholtes Gutachten (“Erstgutachten”) vorliegt, so gehören die für das Zweitgutachten erforderlichen Kosten jedenfalls dann zum nach § 249 BGB ersatzfähigen Schaden, wenn die Umstände des Einzelfalls aus der ex-ante-Betrachtung des Geschädigten konkrete Zweifel an der Objektivität und Richtigkeit des Erstgutachtens begründen.
2.
Ob der Geschädigte die Einholung eines Zweitgutachtens unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit auch unabhängig vom Bestehen konkreter Zweifel an der Objektivität und Richtigkeit des vom Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer erholten Erstgutachtens für erforderlich halten darf (so OLG Stuttgart BeckRS 9998, 60550), kann offen bleiben.
(Quelle: Redaktionelle Leitsätze BeckRS 2017, 108252, beck-online)
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch noch eine ältere Entscheidung des
OLG Stuttgart, Urteil vom 30.1.1974 – 13 U 125/73:
Die Kosten eines vom Geschädigten zur Unfallschadensfeststellung eingeholten Sachverständigengutachtens sind vom Schädiger regelmäßig auch dann zu ersetzen, wenn der Unfallgeschädigte die voraussichtlichen Kosten der Instandsetzung von einer Werkstätte seiner Pkw-Marke schätzen ließ.
Ergänzender Hinweis (auch zur Bagatellschadengrenze):
In der o.g. Entscheidung des AG Hamburg folgen noch zwei wichtige Leitsätze:
3.
Die Bagatellschadensgrenze liegt bei (schon) 750,00 €.
4.
Bei einem Auffahrunfall könnte es zu nicht sichtbaren Schäden unterhalb der weichen Stoßfängerteile kommen; um solche Schäden zu ermitteln oder auch auszuschließen, darf sich ein Geschädigter sachverständiger Hilfe bedienen.
Übrigens kommt es bei dieser Beurteilung nicht allein darauf an, was der Gutachter später als genauen Schaden in Euro ermittelt, sondern auf die Sicht des Geschädigten als technischem Laien (die Rechtsprechung spricht stets von einem “verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten“). Insoweit kann der Geschädigte auch bereits dann einen Gutachter beauftragen, wenn möglicherweise mit verdeckten Schäden zu rechnen ist.
Und eines wird jeder gute Sachverständige immer im Blick haben… wenn sich der Schadenumfang noch im Bagatellschadenbereich – also noch unter ca. 750 Euro – befindet, wird er statt eines Gutachtens einen Kostenvoranschlag machen und auch nur diesen in Rechnung (in der Regel wird von zwischen 80 und 120 Euro auszugehen sein) stellen. Diese Kosten sind dann aber ebenso vom Schädiger bzw. seiner Versicherung zu erstatten.
Fazit:
Wenn unverschuldet verunfallt, dann bitte nicht dem gegnerischen Versicherer das Spiel überlassen und eigene Entscheidungen treffen. Also stets daran denken, dass es um eigene Ansprüche und Rechte geht, so dass man “seine Partner” hinzuziehen sollte, also neben der eigenen Werkstatt den eigenen Gutachter… und bestenfalls auch den eigenen Anwalt.